Gleicher als gleich – am Beispiel Finanzamt

Gleichbehandlung von Gläubigern im Insolvenzverfahren als bleibende Baustelle für ein modernes Insolvenzverfahren

Ende der Gläubigerbegünstigung?

Ende der Gläubigerbegünstigung?

 2011/ aktualisiert 2018  Im Jahr 2010 wurden die Versuche, im Haushaltsbegleitgesetz (HBeglG)[1] für 2011 weitreichende Sonderrechte für den Fiskus zu schaffen, zu Recht als ein Rückfall hinter den erreichten Standard kritisiert, da das darin vorgesehene Sonderaufrechnungsrecht der Finanzverwaltung das wesentliche Element des neuen Insolvenzrechts, bei dem es weniger um Abwicklung, sondern um wirtschaftlichen Ausgleich geht, vereitelt.

Mit der Schaffung der Insolvenzordnung 1999 (die die bis dato geltende Konkursordnung ersetzte) sollte die weitgehende Gleichstellung von Gläubigerinteressen gewährleistet werden. Die aktuell zugrunde liegende Problematik wurde ausreichend diskutiert. Wir dürfen hier auf den Aufsatz von Franz Zilkens verweisen, erschienen bei Legal Tribune, “Selbstbedienung statt Sanierung” [PDF] sowie darauf, dass die Regierungsparteien in Ihrem Koalitionsvertrag von 2009[2] eine Absichtserklärung hinterlassen haben, die sich sehr deutlich gegen eine Bevorzugung einzelner Interessenträger ausspricht. Daraus leitete die Koalition sogar das Erfordernis einer Beendigung bereits systemwidrig eingeführter Privilegierungen (hier der Sozialkassen) ab. Der diesbezügliche Text lautet:

Eine wesentliche Errungenschaft der Insolvenzordnung ist die Gleichbehandlung aller Gläubiger. Hiermit nicht vereinbar ist die in der letzten Wahlperiode gegen den Willen der Rechtspolitiker aller Fraktionen erfolgte Privilegierung der Sozialkassen im Insolvenzverfahren. Diese werden wir beenden. Koalitionsvertrag, S. 18

Unabhängig von dem konkreten Fall (der nicht Gegenstand dieses Artikels ist; siehe zu den durch das HBeglG v. 09.12.10 beschlossenen und ab 01.01.2011 geltenden Änderungen der Insolvenzordnung bitte unseren Bericht zum Haushaltsbegleitgesetz 2011) lohnt es sich, die Problematik etwas allgemeiner zu betrachten. Denn eines sollte man wissen: Gleichbehandlung in Reinkultur hat es nie gegeben, Aufrechnungsmöglichkeiten und Sonderrechte gibt es nämlich bereits zuhauf.

Gleichbehandlung gibt es nicht

Dies betrifft auch Forderungen der Finanzämter. So fällt z.B. nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 01.09.2010 schon nach bestehender Rechtslage ein durch die Tätigkeit eines insolventen Schuldners erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse und kann vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden, wenn der Insolvenzverwalter dem Insolvenzschuldner eine gewerbliche Tätigkeit durch Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ermöglicht (BFH, Beschluss vom 1.9.2010 – VII R 35/ 08; ähnlich auch die Urteile des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg Aktenzeichen 12 K 2060/08 und 12 K 12109/09).

Selbst in der sog. Privatinsolvenz wird ein Gläubiger, der sich vor der Insolvenz eine sog. Lohnabtretung von Schuldner einräumen hat lassen, zwei Jahre lang in der Insolvenz bevorzugt befriedigt (in der Regel bei Banken als Sicherheit bei der Kreditvergabe, immer öfter aber auch Inkassobüros, die dies zur Bedingung für eine Ratenzahlungvereinbarung machen), vgl, § 114 InsO (alte Fassung, siehe hierzu UPDATE sogleich). Aufrechnungen nach SGB von Krankenkassen mit Renteneinkünften sind ein weiteres Beispiel. Die meisten Regelungen für die Besserstellung einzelner Gläubiger scheinen eher moralisch begründet, als dass sie einem zwingenden rechtsystematischen Erfordernis folgen würden. Allerdings entstehen diese “Sonderrechte” – und das ist der entscheidende Punkt – regelmäßig nicht erst in der Insolvenz, sondern sind bereits vor der Insolvenz vorhanden oder stützen sich auf eine vorinsolvenzliche Rechtsposition; die Insolvenzordnung schafft in diesen Fällen das Sonderrecht (im substantiellen Sinne) nicht, sondern wickelt es vielmehr ab (“Abwicklungsregeln”). In welcher Weise und in welchem Maße dies allerdings geschieht, ist wiederum eine Entscheidung des Insolvenzrechts (so z.B., wenn die Lohnabtretung für einen Gläubiger noch zwei Jahre lang in der Insolvenz beachtet wird).

UPDATE 2011/2018:
Die Abschaffung der Besserstellung von Vorausabtretungsgläubigern wurde durch die Bundesjustizministerin in ihrer Rede vom 07.04.11 angekündigt. Dies geschah späterhin tatsächlich durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 (BGBl. 2013 I S. 2379ff.) mit Wirkung vom 01.07.2014. § 114 InsO wurde ersatzlos gestrichen. Siehe hierzu auch:

Seit 01. Juli 2014: Neues Insolvenzrecht – TEIL 1, Ziffer 5.

Mit gleichem Gesetz wurden freilich neue Ausnahmen auf anderem Gebiet geschaffen: § 302 InsO wurde nicht unwesentlich erweitert; dieser sieht vor, wann für bestimmte Forderungen die Restschuldbefreiung ausgenommen werden kann. Neu hinzu traten mit dem 01.07.2014 zwei weitere Fälle: Pflichtwidrig nicht gezahlte Unterhaltsschulden (wovon vor allem Unterhaltsvorschusskassen profitieren) sowie Forderungen des Finanzamtes im Zusammenhang mit Steuerstraftaten:

Seit 01. Juli 2014: Neues Insolvenzrecht – TEIL 1, Ziffer 2.

Beispiel Finanzamt: Hauptargument für Besserstellung

Natürlich gibt es für jede bestehende Besserstellung auch ein gutes Argument. Selbst der Versuch, in der Insolvenzordnung ein weitreichendes Fiskusprivileg zu schaffen, wurde nicht “grundlos” unternommen. Dass dieser Versuch von Anfang an sehr stark kritisiert wurde, lag daran, dass dies nur mit einem Bruch der im Insolvenzrecht geltenden Prinzipien umzusetzen war, die derartige Sonderstellungen ausschließen.

Vor diesem Hintergrund wirkten die Argumente für das (allerdings letztlich gescheiterte Aufrechnungsprivileg, das mit der Änderung des § 96 InsO vorgesehen war)[3] eher fade. Als Hauptargument für die Bevorzugung der Finanzverwaltung in Form des im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehenen Sonderaufrechnungsrechts hörte man beispielsweise immer wieder, dass das Finanzamt – anders als Privatgläubiger – den Beginn und das Ende des jeweiligen Schuldverhältnisses ja nicht bestimmen könne und die öffentlich rechtlichen Pflicht willensunabhängig eintrete, was ein Nachteil gegenüber “normalen” Gläubigern sei und eine Besserstellung in der Insolvenz rechtfertige.

Allerdings: Dieses Argument belegt genau das Gegenteil. Gerade weil das Finanzamt – anders als andere Gläubiger – per öffentlich-rechtlicher Erhebung auf den Schuldner zugreifen kann, ist es bereits vor der Insolvenz per se allen Privatgläubigern überlegen, da es kraft Gesetz in die Gläubigerposition tritt, ohne ein dem Privatgläubiger vergleichbares Risiko der Vorleistung zu tragen. Denn anders als dieser ist das Finanzamt selbst nicht von Insolvenz bedroht, die bei dem Privatgläubiger z.B. auch dann erforderlich werden kann, wenn er von seinem Schuldner nicht bezahlt wird und seinerseits das Finanzamt nicht bedienen kann. Hinzu kommt: Jeder “normale” Gläubiger muss seine Rechte notfalls erst gerichtlich einklagen und dabei die Beweislast und damit auch das Prozessrisiko tragen. Das Finanzamt ist in der Lage, die Höhe seines Anspruchs ggf. durch eine Schätzung festzulegen. Dies ist in Fällen, die später in eine Insolvenz münden, nicht selten der Fall. Denn oft ist es so, dass der Schuldner im Zeitraum seiner Zahlungsunfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, seinen Steuerberater zu bezahlen, der deshalb die erforderlichen Unterlagen für die Steuererklärung zurückhält. Die durch Schätzung entstandene Forderung des Finanzamts basiert in aller Regel auf der Annahme von Einkünften, die der Schuldner tatsächlich nie erzielt hat. Ein vergleichbares Recht von “normalen” Gläubigern im Geschäftsverkehr gibt es selbstverständlich nicht.

Der Vorteil einer “Willensunabhängigkeit” von Privatgläubigern ist zudem eine bloße Fiktion. Natürlich wird ein Gläubiger kein Geschäft abschließen, wenn er vorher weiß, dass der Vertragspartner ihn nicht befriedigen wird. Die Regel ist aber die, dass die Zahlungsunfähigkeit erst nach dem Zeitpunkt eintritt oder bekannt wird, zu dem der Gläubiger seine Leistung erbracht hat. Um den “Vorteil” der “Willenunabhängikeit” wirklich nutzen zu können, dürfte ein Gläubiger gar keine Geschäfte mehr abschließen, da jeder Schuldner in Zukunft noch zahlungsunfähig werden kann. Die “Willensunabhängigkeit” stellt für das Finanzamt also einen bloßen Vorteil dar: Es erhält einen Anspruch ohne existentielles Risiko und ohne das Erfordernis einer konkreten Vorleistung, oft genug auch dann, wenn die Anspruchsbasis lediglich auf einer Fiktion (Schätzung) beruht.

Und noch zum Schluss: Würde die “Willensunabhängigkeit” zum Erfordernis einer Besserstellung führen, wären auch andere Forderungen “besserzustellen”. Beispiel: Rückzahlungsansprüche der Bundesagentur für Arbeit. Diese Forderungen entstehen auch “willensunabhängig”, denn die Agentur hat die Leistungen bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen zur Auszahlung zu bringen (oder zurück zu fordern). Zudem besteht hier – anders als bei der Finanzverwaltung – grundsätzlich immer eine konkrete Leistung in Form einer Zahlung.

Bearbeitungen: Januar 2011/ ergänzt: Februar und 10. März 2011 sowie April 2011; überprüft  und aktualisiert 03.02.2018
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[1]] Haushaltsgesetz 2011 v. 09.12.2010; BGBl. 2010 I Nr. 63, S. 1885ff. [1893] sub Art. 3; S. 9 der PDF-Datei  [zurück]
[2] Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, beschlossen und unterzeichnet am 26. Oktober 2009, S. 18 (sub Reform des Insolvenzrechts); S. 19 der PDF-Datei  [zurück]
[3] Regierungsentwurf eines HBeglG 2011, September 2010;  siehe sub Art. 3, Ziff. 3, S. 21 der PDF-Datei  [zurück]

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