• Hinweis

    Urlaubsbedingt können wir leider Anfragen erst wieder ab dem 15.04.2024 beantworten. Das gilt auch für die Bearbeitung von Kontobescheinigungen. Wir bitten Sie um Verständnis

Bußgeld in der Insolvenz – Landgericht Dresden: Keine Durchsetzbarkeit der Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Beschluss zum 04.06.14 - 5 Qs 55/14 - Zur Frage, ob Bußgelder, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, in der Insolvenz noch zwangsweise durchgesetzt werden können

Siehe auch Entscheidung des Landgerichts Stralsund vom 25.01.2016

Zusammenfassung: Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit, der für die Eröffnung der Insolvenz Voraussetzung ist, ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit bei Bußgeldvollstreckungen. Eine Insolvenzeröffnung sagt daher noch nicht, dass eine Zahlungsunfähigkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitsrechts vorliegt. Allerdings lehnt das Gericht die Durchsetzung der Bußgeldforderung im Insolvenzverfahren gleichwohl ab: Die Erzwingungshaft (gemeint ist hier die Haft zur Erzwingung des Zahlungswillens) ist als Maßnahme der Zwangsvollstreckung i.S.d. § 89 InsO zu verstehen und schon deshalb unzulässig, sobald die Eröffnung der Insolvenz erfolgt ist.

  1. Beschluss des LG Dresden
  2. Erläuterungen

1. Beschluss des LG Dresden*

LG Kopf2

 

BESCHLUSS

 

In dem Bußgeldverfahren gegen

[….],

wohnhaft: […]

Verteidiger:

Rechtsanwalt Andreas Grundmann, Königstraße 12, 01097 Dresden

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Anordnung der Erzwingungshaft

 

ergeht am 04.06.2014

durch das Landgericht Dresden – 5. Große Strafkammer als Kammer für Bußgeldsachen –

nachfolgende Entscheidung:

 

1. Auf die sofortigen Beschwerden des Betroffenen werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Meißen vom 28.01.2014 – 13 OWi […]/13, 13 OWi […]/13, 13 OWi […]/13, 13 OWi […]/13, 13 OWi […]/13 und 13 OWi […]/13 –

 

aufgehoben.

 

2. Die Kosten der Beschwerdeverfahren hat die Staatskasse zu tragen. Es wird davon abgesehen, die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

Gründe

I.

Durch die sechs im Tenor genannten Beschlüsse hat das Amtsgericht Meißen zur Beitreibung von Bußgeldern jeweils eine Erzwingungshaft zwischen 1 und 4 Tagen festgesetzt. Dabei handelt es sich um die Bußgeldbescheide des Landratsamtes […] vom

26.03.2012 (Az.: […]    –   10,00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 12.04.2012),

14.03.2012 (Az.: […]    –   25,00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 31.03.2012),

29.01.2013 (Az.: […]    –   95,00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 15.02.2013),

29.07.2011 (Az.: […]    –   20.00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 17.08.2011),

16.02.2012 (Az.: […]    –   25,00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 06.03.2012) und vom

19.08.2011 (Az.: […]    –   15,00 Euro Geldbuße, rechtskräftig seit 07.09.2011).

In all diesen Verfahren hatte der Betroffene das Bußgeld nicht bezahlt, Vollstreckungsversuche blieben erfolglos und der Betroffene hat auf seine vor Erlass der Erzwingungshaftbeschlüsse erfolgte Anhörung nicht reagiert. Gegen die dem Betroffenen jeweils am 8. Februar 2014 zugestellten Beschlüsse hat dieser durch seinen Verteidiger mit Fax vom 13. Februar 2014 sofortige Beschwerde eingelegt und vorbringen lassen, er sei zahlungsunfähig. Zwischenzeitlich hat das Amtsgericht Dresden am […] 2014 über das Vermögen des Betroffenen das Insolvenzverfahren eröffnet ([…] IN […]/14).

 

II.

Die zulässigen sofortigen Beschwerden sind begründet. Der Anordnung von Erzwingungshaft steht das Vollstreckungsverbot aus § 89 Abs. 1 InsO entgegen.

1. Allerdings ergibt sich die Unzulässigkeit der Anordnung der Erzwingungshaft nicht schon aus dem Umstand, dass über das Vermögen des Betroffenen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, an sich.

a) Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 Abs. 1 InsO deckt sich inhaltlich nicht mit demjenigen in § 96 OWiG.

Nach § 17 InsO ist zahlungsunfähig, wer nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Insbesondere bei hohen Zahlungsverpflichtungen kann dies daher auch dann der Fall sein, wenn der Schuldner noch über ggf. sogar erhebliche Barmittel verfügt. Eine Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 96 OWiG ist hingegen erst dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen selbst bei Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Geldquellen, Einschränkung seiner Lebenshaltungskosten, evtl. den Verkauf noch vorhandener Wertgegenstände und selbst durch Aufnahme überobligatorischer Arbeit nicht in der Lage ist, die offene Geldbuße – und zwar auch nicht in Raten – zu bezahlen (statt aller Göhler, OWiG, 16. Aufl. (2012), § 96, Rn. 13 – allgemeine Meinung). Entsprechend vertritt die Kammer in ständiger, der ganz herrschenden Auffassung entsprechender Rechtsprechung die Ansicht, dass selbst Beziehern von ALG II, also am gesetzlichen Existenzminimum lebenden Betroffenen, jedenfalls geringe Geldmittel zur freien Verfügung stehen, die es ermöglichen, monatliche Raten von 5,00 bis 10,00 Euro aufzubringen.

b) Aus diesem Grunde führen auch die Regeln der Insolvenzordnung, die dem Betroffenen die Verfügungsgewalt über sein Vermögen entziehen, nicht zur Zahlungsunfähigkeit aus Rechtsgründen. Denn dem Insolvenzschuldner wird durch die §§ 80 Abs. 1, 81 InsO die Verfügungsbefugnis nur für das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen entzogen. Hierzu gehören aber gemäß § 36 InsO weder die unpfändbaren noch vom Insolvenzverwalter etwa freigegebene Vermögenswerte. § 36 InsO verweist insoweit auf die Pfändungsschutzvorschriften der ZPO. Da die Pfändungsfreigrenzen deutlich über den Sätzen für das ALG II bzw. die Sozialhilfe liegen, verbleibt dem Insolvenzschuldner der zwischen diesen Grenzen liegende Teil etwaiger Einkünfte zur freien Verfügung.

Dies gilt im Übrigen auch für die Zahlungsverbote, denen der Beschwerdeführer in der Wohlverhaltensphase der Privatinsolvenz gemäß §§ 294 Abs. 2, 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO unterliegt. Diese Beschränkungen beziehen sich ohnehin nur auf Insolvenzgläubiger und auch insoweit nicht auf den pfändungsfreien Teil laufender Einkünfte und evtl. verbliebenes massefreies Vermögen (Ahrens in: Frankfurter Kommentar zur InsO, § 294, Rn. 32, § 295, Rn. 57/58; Ehricke in: Münchner Kommentar zur InsO, 2. Aufl. (2008) – § 294, Rn. 32; zuletzt Vallender in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. (2010), § 294, 23 und § 295, Rn. 55 – jeweils m.w.N.). Der Bundesgerichtshof hat zwischenzeitlich auch entschieden, dass der durch die genannten Vorschriften geschützte Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger sich nicht auf das nicht zur Insolvenzmasse gehörende freie Vermögen des Schuldners bezieht, weshalb der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen während der regulären Dauer eines Insolvenzverfahrens freiwillige Zahlungen auch an Insolvenzgläubiger erbringen kann (BGH, ZIP 2010, 380 ff.). Er macht sich aus diesem Grunde dadurch auch nicht wegen Gläubigerbegünstigung gemäß § 283c StGB strafbar. Für die “Wohlverhaltensphase” nach Abschluss des eigentlichen Insolvenzverfahrens kann nichts anderes gelten.

c) Das Insolvenzverfahren als solches mit dem damit verbundenen Verlust der Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen führt daher noch nicht zur Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 96 OWiG und zur Unzulässigkeit der Anordnung von Erzwingungshaft.

2. Allerdings steht für eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig festgesetzte Geldbuße § 89 Abs. 1 InsO der Vollstreckung entgegen.

Die Kammer hat sich vollumfänglich der vom Landgericht Hannover (Beschluss vom 07.09.2009 – 48 Qs (OWi) 101/09, NdsRPfl 2011, 78 ff. – zitiert nach JURIS) begründeten Auffassung angeschlossen (ebenso LG Flensburg, Beschluss vom 26.08.2011 – II Qs 48/11, SchIHA 2012, 77 f. – zitiert nach JURIS) und ihre bisherige anderslautende Rechtsprechung (Beschluss vom 22.10.2008 – 5 Qs 75/08 und seit dem) aufgegeben (Beschluss vom 20.07.2012-5 Qs 95/11).

a) § 89 Abs. 1 InsO für das reguläre Insolvenzverfahren und § 294 Abs. 1 InsO für die “Wohlverhaltensphase” im/nach dem Privatinsolvenzverfahren verbieten Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einzelner Insolvenzgläubiger. Die Anordnung von Erzwingungshaft ist als Maßnahme der Zwangsvollstreckung in diesem Sinne einzuordnen (Petershagen, ZinsO 2007, 703 ff.).

Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, nur im 8. Buch der ZPO geregelte Maßnahmen unterfielen dem Verbot der Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (beispielsweise LG Potsdam, NStZ2007, 293 ff.; zuletzt – ohne weiterführende Begründung – LG Deggendorf, Beschluss vom 28.03.2012 – 1 Qs (b) 62/12 – JURIS) trifft dies nicht zu und verkürzt Sinn und Zweck des gesetzlichen Verbotes. Einzelnen Insolvenzgläubigern wird der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners, in welcher Form auch immer, zunächst deswegen verboten, um den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften sicherzustellen. Zum anderen – hierauf zielt die auch im neuen Recht beibehaltene Einbeziehung des insolvenzfreien Vermögens in die Reichweite des Verbotes – soll das Verbot dem Schuldner einen “Neuanfang” ermöglichen (vgl. schon zu § 14 KO: K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. (1997), Anmerkung 1 a) zur S. 14 KO).

Es müssen deshalb alle Maßnahmen, die auf die zwangsweise Einwirkung auf das Vermögen des Schuldners gerichtet sind, vom Verbot der §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO erfasst sein (vgl. die Aufzählung in den einschlägigen Kommentaren zur InsO). Der Bundesgerichtshof hat sich jüngst der im insolvenzrechtlichen Schrifttum schon unter Geltung der Konkursordnung ganz herrschenden Auffassung angeschlossen, dass schon das Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung von den Vollstreckungsverboten erfasst wird (BGH, ZIP 2012, 1311 ff.).

Um so mehr muss die Anordnung von Erzwingungshaft, die den Schuldner unmittelbar zur Zahlung der offenen Geldbuße veranlassen soll, als Maßnahme der Zwangsvollstreckung i.S.d. genannten Vorschriften angesehen werden. Allein ein solches, vom Landgericht Hannover als “faktischer Zwangsvollstreckungs-Begriff” bezeichnetes Verständnis wird dem Sinn und Zweck der Vorschriften gerecht. Soweit teilweise auf den Charakter der Erzwingungshaft als “Beugemittel” abgehoben wird (LG Berlin, NJW 2007, 1541 ff.), das “der Erfüllung des staatlichen Anspruchs auf Mitwirkung des Betroffenen im Bußgeldverfahren” diene, geht dies – wie das Amtsgericht Pinneberg (Beschluss vom 11.07.2007 – JURIS) zutreffend formuliert -, “an der Realität vorbei”. Denn die Erzwingungshaft ist gerade dann anzuordnen, wenn sich nach Offenlegung aller Fakten zur Einkommens- und Vermögenslage ergibt, dass dem Schuldner die Zahlung zuzumuten ist und er diese trotzdem nicht vornimmt. Die Maßnahme zielt in ihrem Kern allein auf die zwangsweise Beitreibung des Bußgeldes. Dass es dabei nicht um die Vermehrung des Staatsvermögens und bei der zwangsweisen Beitreibung daher nicht um eine vordergründige Bevorteilung des Fiskus gegenüber anderen Insolvenzgläubigern geht, trifft zwar zu, lässt aber die ausdrückliche Einordnung von Bußgeldern als (nachrangige) Insolvenzforderung – § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO – außer Acht. Nach dieser gesetzgeberischen Entscheidung sind Geldbußen grundsätzlich nicht anders zu behandeln als sonstige Insolvenzforderungen. Anders als bei der hier deswegen nicht näher zu vertiefenden Frage der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Nichtbeitreibbarkeit von Geldstrafen geht es nicht um die Ersetzung der Zahlung der Strafe durch eine andere Sanktion, sondern um die zwangsweise Veranlassung zur Zahlung und damit zum Eingriff in das Schuldnervermögen.

b) Die insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbote erfassen die Geldbuße deswegen, weil der Staat – anders als früher nach § 63 Nr. 3 KO – insoweit Insolvenzgläubiger ist, § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

Der Umstand, dass Geldbußen gemäß § 302 Nr. 2 InsO von der Erteilung einer Restschuldbefreiung nicht berührt und insoweit gegenüber anderen Insolvenzforderungen “privilegiert” werden, besagt für die hier zu entscheidende Frage nichts. Denn aus dieser Vorschrift ergibt sich gerade keine generell bevorzugte Behandlung von Geldstrafen und Geldbußen (so aber LG Berlin a.a.O. und LG Potsdam a.a.O.). Vielmehr ist sie das Korrektiv zu deren Nachrangigkeit und damit faktischen Nichtbedienung im Insolvenzverfahren und bezweckt, dass ebenso wie aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung herrührende Verbindlichkeiten (§ 302 Nr. 1 InsO) auf schuldhaft dolosem Verhalten beruhende Zahlungspflichten nicht durch ein Insolvenzverfahren sollen beseitigt werden können. Hätte der Gesetzgeber diese Forderungen auch während des laufenden Insolvenzverfahrens privilegieren wollen, so hätte er dies – analog der beschränkten Zulassung der Vollstreckung u.a. von Forderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung (§ 89 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. InsO) – regeln können und angesichts des Gesamtzusammenhangs, insbesondere der Vorschrift des § 89 InsO, auch müssen. Durch die vom früheren Recht (§ 63 Nr. 3 KO) abweichende Einordnung von Geldbußen in den Kreis der Insolvenzforderungen ist bewusst Gegenteiliges geschehen.

c) Die Vollstreckungsverbote beziehen sich auf das gesamte Schuldnervermögen, nicht nur auf die Insolvenzmasse.

Insbesondere sind auch vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögenswerte durch § 89 Abs. 1 InsO (und dem folgend naturgemäß auch § 294 Abs. 1 InsO) dem Vollstreckungszugriff der Insolvenzgläubiger entzogen (zuletzt ausführlich BGH, ZIP 2009, 818, (820) m.w.N. – fast einhellige Meinung). Der Gesetzgeber hat bewusst und mit Bedacht angeordnet, dass auch die Vollstreckung in das sonstige Vermögen des Schuldners gemäß §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO unzulässig ist. Von dieser klaren gesetzlichen Regelung lässt sich auch nicht teleologisch dasjenige an sich pfändungsfreie Vermögen ausnehmen, welches unter bestimmten zusätzlichen Bedingungen privilegierten Gläubigern für Zwangsvollstreckungen zur Verfügung steht bzw. nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Verfügung stehen würde. Denn den privilegierten Zugriff auf erweitert pfändbares (künftiges) Vermögen hat der Gesetzgeber in § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich nur Neugläubigern der dort genannten Forderungen (aus Unterhalt und vorsätzlicher deliktischer Schädigung) eröffnet. So wie eine Erweiterung der Privilegierung auf Altgläubiger solcher Ansprüche ausscheidet (zuletzt BGH, ZIP 2007, 2330 (2331), m.w.N. – allgemeine Meinung), so kommt auch eine andere “teleologische” Reduktion der §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO nicht in Betracht.

3. Die vom Landgericht Hannover entwickelte Lösung, der sich die Kammer anschließt – Vollstreckungsverbot für Alt-Bußgelder, welche zu den Insolvenzforderungen zählen, Vollstreckungsmöglichkeit in das insolvenzfreie Vermögen für nach Insolvenzeröffnung festgesetzte Bußgelder bis zu der sich im Einzelfall ergebenden Zumutbarkeitsgrenze wie bei sonstigen (nahezu) mittellosen Personen -, führt auch nicht zu rechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnissen.

a) Insbesondere die Befürchtung, dass sich die mangelnde Vollstreckbarkeit alter Bußgelder als Freibrief zur Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten auswirkt (so etwa die Landgerichte Potsdam und Deggendorf – jeweils a.a.O.), ist unbegründet. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgesetzte Bußgelder sind im Rahmen der allgemeinen, auch für andere (nahezu) mittellose Betroffene geltenden Zumutbarkeits-Regeln vollstreckbar. Die Anordnung von Erzwingungshaft ist danach insbesondere stets dann zulässig, wenn der Betroffene Einkünfte hat, die zwar unter der Pfändungsfreigrenze, aber über oder im Bereich der aktuellen Leistungen an einen ALG ll-/Sozialhilfe-Ermpfänger liegen.

b) Durch das Ergebnis werden auch nicht Insolvenzschuldner gegenüber anderen mittellosen Betroffenen – zu denken ist insbesondere an diejenigen, bei denen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist – unangemessen privilegiert. Denn die betroffenen Bußgelder werden gemäß § 302 Nr. 2 InsO selbst von der Erteilung einer Restschuldbefreiung nicht berührt, sie sind mithin nach deren Erteilung uneingeschränkt vollstreckbar. Zudem führt das gesetzliche Verbot der Vollstreckung gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1 OWiG zum Ruhen der Vollstreckungsverjährung. Im Ergebnis wird der Insolvenzschuldner also nur bis zum Ende der Wohlverhaltensphase und der Erteilung der Restschuldbefreiung vor der Vollstreckung geschützt, ist dieser aber im Anschluss daran wieder ausgesetzt, auch wenn in solchen Fällen regelmäßig ein Absehen von der Vollstreckung gemäß § 95 Abs. 2 OWiG sachgerecht sein dürfte.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG, die Auslagenentscheidung auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Unabhängig davon, dass das ohne Weiteres zum Erfolg der Beschwerde führende Vollstreckungshindernis erst nach Einlegung der Beschwerde entstanden ist, hatte der Betroffene sich auch erstmals im Beschwerdeverfahren auf seine Zahlungsunfähigkeit berufen.

2. Erläuterungen

 

Eines kann man klar vorwegnehmen: Nach diesem Beschluss ist eine Erzwingungshaft (so wie jede andere Vollstreckung) in Bußgeldsachen (soweit sie vor der Insolvenz entstanden sind) nach der Insolvenzeröffnung generell nicht möglich.

Um das der Entscheidung zugrundeliegende Problem zu sehen, muss man wissen: Bei der Frage, ob eine Erzwingungshaft bei Bußgeldern angeordnet werden kann, kommt es darauf an, ob Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit vorliegen. Die Erzwingungshaft soll hier die Zahlungswilligkeit (also die Zahlungsbereitschaft des Schuldners) erzwingen, was keinen Sinn machen würde, wenn eine Zahlungsunfähigkeit besteht (was soll man erzwingen, wenn nichts da ist?).

Insolvenzvoraussetzung ist zwar ebenfalls die “Zahlungsunfähigkeit” (§ 17 Abs. 1 InsO: “Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.”), die in § 17 Abs. 2 InsO näher definiert wird: “Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.”) Dieser Begriff ist aber erkennbar weiter als der, der im Rahmen von Bußgeldvollstreckungen angenommen wird (vgl. z.B. § 96 Abs. 2 OWiG: “nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten” – was auf eine konkret zu beurteilende Zumutbarkeit hinausläuft und nicht auf eine pfändungsrechtliche Einordnung z.B. nach § 850c ZPO).  Dort wird der Begriff  folglich wesentlich konkreter und unabhängig(er) von pfändungsrechtlichen Schutzkriterien definiert. Es ist daher  eine unzulässige Verkürzung, wenn man aus dem Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO und die daraus folgende Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf eine Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 96 OWiG schließt.

Zahlungsunfähigkeit ist nicht gleich Zahlungsunfähigkeit

Daraus folgt zunächst, dass Verwaltungen sich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein noch nicht darauf verweisen lassen müssen, dass eine Vollstreckung wegen bestehender Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen ist. Würde es dabei bleiben, käme es auch hier weiter darauf an, ob die konkret bestehende Situation des Schuldners auch dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit i. S. v. § 96 OWiG genügt.

Das Gericht schließt sich in der obigen Entscheidung allerdings der Rechtsprechung an, nach der das Vollstreckungsverbot des § 89 InsO nicht nur für zivilprozessuale Vollstreckungen (z.B. auch Abnahme der Vermögensauskunft), sondern auch für Bußgeldvollstreckungen gilt.

Dies bedeutet: Es gibt generell keinerlei Vollstreckungsmöglichkeit für vor der Insolvenz liegende Bußgeldtatbestände, weil es auf die “Zahlungsfähigkeit” als Kriterium gar nicht ankommt.

Beachte aber:

  1. gilt dies nicht für Bußgeldtatbestände, die nach Eröffnung des Verfahrens neu entstehen.
  2. bleiben Bußgeld-Forderungen wegen § 302 Ziff. 2 InsO gleichwohl von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Bußgelder können also in der Insolvenz zwar nicht vollstreckt werden, nach der Restschuldbefreiung bestehen sie gleichwohl fort und können dann (nach Restschuldbefreiung) auch wieder vollstreckt werden.
  3. Betrifft dies nicht die aufgrund von gerichtlichen Strafverurteilungen ersatzweise verhängte Strafhaft. Bei der ersatzweisen Strafhaft wird – anders als bei Bußgeldern – die Strafe selbst vollstreckt. Die haftweise Vollstreckung erfolgt bei Geldstrafen dann, wenn die Geldstrafe nicht gezahlt wird (oder ein Surrogat nicht geleistet wird, wie  z.B. “Sozialstunden”). Mit der Haft wird die Strafe selbst vollstreckt, während bei Bußgeldern die Haft nicht der Verbüßung dient, sondern den Willen des Bußgeldschuldners brechen soll, damit dieser die geschuldete Zahlung vornimmt. Ein Bußgeld kann man deshalb auch nicht “absitzen” (die in Haft umgewandelte Geldstrafe schon). Geht ein Schuldner mit einer bestehenden Geldstrafe in Insolvenz muss er dafür sorgen, dass zum Beispiel die mit der Staatsanwaltschaft vereinbarten Teilbeträge aus seinem unpfändbaren Einkommen weiter gezahlt werden bzw. Sozialstunden ersatzweise erfolgen können. Denn die strafrechtliche Haft kann auch und unabhängig von der Insolvenz vollstreckt werden.
__________________________
* Die im Text verwendete Freilassung “[…]” stellt jeweils eine von uns vorgenommene Schwärzung (Anonymisierung) dar

Siehe auch Entscheidung des Landgerichts Stralsund vom 25.01.2016

Bookmark the permalink.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert