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AOK: Erschreckend inkompetent, dreist oder nur lustig?

Ein Brief von der AOK Plus Sachsen und Thüringen*

Erschreckend, dreist oder nur lustig?

Erschreckend oder nur lustig?

Das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren gemäß Insolvenzordnung ist die erste Phase eines Privatinsolvenzverfahrens. Es dient der Abwendung der Insolvenz; das ist das erklärte Ziel des Gesetzgebers. Der Grund liegt auf der Hand: Das vorgerichtliche Verfahren schafft die Voraussetzungen dafür, die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Schuldner mit den wirtschaftlichen Interessen der Gläubiger abzustimmen und die Insolvenz einerseits und den regelmäßig damit verbundenen Totalausfall für die Gläubiger andererseits zu vermeiden.

AOK-Brief vom 24.02.2011

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Im Zentrum der außergerichtlichen Schuldenbereinigung gemäß § 305 InsO steht der sog. außergerichtliche Schuldenbereinigungsplan, dem die Gläubiger die Quote der noch erzielbaren Befriedigung entnehmen können. Stimmen die Gläubiger einem solchen Plan mit der erforderlichen Mehrheit zu, kann dieser Plan Rechtskraft erlangen.

Die Antwort auf einen solchen Plan kann knapp ausfallen, denn mehr als ein “Ja” oder “Nein” ist dazu nicht erforderlich. Häufig werden auch zusätzliche Bedingungen benannt oder ein Gegenvorschlag unterbreitet. Völlig untypisch sind indes Schreiben, in denen die Ablehnung mit einer Ablehnung des gesetzlich geregelten Verfahrens (!) begründet wird. Dies mag bei Privatgläubigern noch verständlich sein; wenn dies aber einem Unternehmen wie der AOK passiert, darf man mit Fug und Recht an der erforderlichen Kompetenz zweifeln.

Aber sehen wir uns das genauer an: In ihrem Brief vom 24.02.2011 weist die zuständige Bearbeiterin zunächst einmal darauf hin, dass einem Plan nicht zugestimmt werden könne, weil man

Im Interesse der Versichertengemeinschaft und des Gesundheitsfonds (…) Forderungen rechtzeitig, aber vor allem vollständig zu erheben [habe]

Schon dieser Satz ist ein Zirkelschluss. Denn er bedeutet auf deutsch: Wir können dem Plan nicht zustimmen, weil wir auf der vollen Höhe unserer Forderung beharren müssen, von der wir – wegen unserer fehlenden Zustimmung – im Insolvenzverfahren keinen Cent mehr bekommen. Letzteres dient offenbar der Versichertengemeinschaft und dem Gesundheitsfonds mehr. Dummheiten dieser Kategorie bekommt man häufig zu lesen, sind also weder neu noch erwähnenswert.

Dann aber wird es skurril:

Zum weiteren vertreten wir die Auffassung, dass es nicht Norm sein kann, zu Lasten öffentlich rechtlicher Gläubiger, Privatverbindlichkeiten in einem Schuldenbereinigungsverfahren niederzuschlagen.

Übersetzt heißt das: Es kann nicht “Norm sein”, dass das Gesetz (die Insolvenzordnung) ein derartiges Verfahren überhaupt ermöglicht. Es kann ferner nicht “Norm sein”, dass in diesem Verfahren auch öffentlich-rechtliche Träger ggf. zur Annahme eines Plans gezwungen werden können. Ungeachtet davon, dass das Gesetz eben dies alles vorsieht und grundsätzlich keinen Unterschied macht zwischen “Privatverbindlichkeiten” und Forderungen von “öffentlich rechtlichen Gläubigern”. Warum das skurril ist? Weil jeder, der Träger öffentlicher Gewalt ist, an das Grundgesetz gebunden ist. Und die allererste daraus fließende Pflicht ist natürlich, gesetzesgemäß zu handeln und zu entscheiden. Das beginnt schon damit, dass sich auch Begründungen für Entscheidungen daran messen lassen müssen. Wo kämen wir hin, wenn die Exekutive (oder Träger mit “teilexekutiven Aufgaben”) nur noch Gesetze zur Kenntnis nehmen würde, die ihr in den Kram passen? Genau das aber bedeutet die “Begründung” der AOK- Bearbeiterin.

Verfahrensrelevant ist diese Sichtweise freilich nicht sonderlich, denn auch die fehlende Zustimmung der AOK kann, wenn der Plan im Übrigen von der Mehrheit der Gläubiger angenommen wurde, grundsätzlich ersetzt werden. Spätestens dann wird offenbar, dass der Gesetzgeber mit der neuen Insolvenzordnung grundsätzlich eben gerade keine Sonderstellungen mehr erhalten wollte.³ Ärgerlich ist es aber, weil es wieder einmal zeigt, welcher Grad an Unwissenheit hier immer noch herrscht.

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* Der Redlichkeit halber sei allerdings bereits hier erwähnt, dass die AOK bislang mit Begründungszirkeln – wie nachfolgend geschildert – noch nicht aufgefallen ist oder bislang generell Pläne ablehnt hätte.
² alle Hinweise, die eine Individualisierung des Falls ermöglichen, haben wir auf dem Foto entfernt (geschwärzt). Die Markierung des Absatzes (Unterlegung und hinweisender Pfeil) haben wir hinzugefügt.
³ leider nicht ganz, davon war im Rahmen des Blogs hier schon mehrfach die Rede. Vgl. zur grundsätzlichen Fragestellung beispielsweise die Ausführungen zum Streit um die Besserstellung des Fiskus.
05. März 2011
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