1. Tabelle
Die veröffentlichen Zahlen im einzelnen [1]:Schuldnerarten | Beantragte Verfahren | ||
---|---|---|---|
eröffnet | mangels Masse abgewiesen | Schuldenbereinigungsplan angenommen | |
2009 | |||
Natürliche Personen als Gesellschafter u.Ä. | 1.377 | 299 | x[2] |
Ehem.selbständig Tätige (Regelinsolvenzverfahren) | 17.081 | 2.113 | x[2] |
Ehemals selbständig Tätige (vereinfachtes Verf.) | 5.225 | 114 | 101[3] |
Verbraucher | 98.776 | 429 | 1.897[3] |
Nachlässe | 1.200 | 1.608 | x[2] |
2. Unser Kommentar
Nach dieser Statistik wurde die Insolvenz bei 104.001[4] Insolvenzanträgen i.R. eines sog. vereinfachten Insolvenzverfahrens („Privatinsolvenz“) nur in 1.998 Fällen (bundesweit!) durch ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren abgewendet. Dazu muss man wissen: Ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren kann durchgeführt werden, wenn in dem gesetzlich vorgeschriebenen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren die Mehrheit der Gläubiger dem Plan zugestimmt hat (durch Summen- und Kopfmehrheit).
Begrenzte Aussagekraft für insolvenzvermeidende Verfahren
Da die Statistik sich nur auf die Fälle stützen kann, die durch einen Antrag bei einem Insolvenzgericht anhängig werden, umfasst sie von vornherein alle die Fälle nicht, bei denen bereits außergerichtlich eine Einigung erzielt wurde. Dies aber ist die Domäne einer wirklich guten Schuldenberatungsstelle: Sie kann erreichen, dass die überwiegende Zahl der Fälle gar nicht erst zu Gericht gelangt, weil durch ihre Verhandlungstätigkeit im Rahmen des gesetzlich normierten außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens bereits eine Einigung erzielt wird. Die geringe Zahl der gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren lässt indes dennoch einen mittelbaren Schluss zu. Eine gute Schuldenberatung nutzt dieses Mittel sehr häufig, um die Einigung zu erzielen, wenn – was immer wieder vorkommt – einzelne Gläubiger sich der insolvenzabwendenden Einigung verschließen. Sind die Voraussetzungen für die gerichtliche Schuldenbereinigung gegeben, ist bei einer entsprechenden Vorbereitung fast immer mit der beantragten Ersetzung der fehlenden Zustimmungen zu rechnen.
Folgerungen für die außergerichtliche Schuldenbereinigung gemäß Inssolvenzordnung
Die geringe Zahl der bundesweit erfolgreichen gerichtlichen Schuldenbereinigungen lässt praxisbezogen nur den Schluss zu, dass es zu wenige Schuldenberatungen gibt, deren Arbeit auf eine Abwendung des Insolvenzverfahrens gerichtet ist. Unsere Statistik weist ein umgekehrtes Bild auf. Danach wird die überwiegende Zahl von Überschuldungen ohne Insolvenzverfahren beendet. Die Statistik dürfte damit den Verdacht erhärten, dass die meisten freien Träger (Arbeiterwohlfahrt, Caritas usw.), die die Schuldnerberatung anbieten und die mengenmäßig die meisten Fällen bearbeiten, weder in der Lage noch Willens sind, sich effektiv um eine Insolvenzabwendung zu bemühen.
…durch die Proforma-Abwicklung [wird] die Absicht des Gesetzes untergraben, die Insolvenz abzuwenden…
Dies ist das Ergebnis der zwischenzeitig gängigen Praxis der Amtsgerichte, den Schuldnern keinen Beratungsschein mehr zu bewilligen und sie stattdessen an die hierfür anerkannten „kostenlosen“ Stellen der Wohlfahrtsverbände zu verweisen. Eine Qualitätskontrolle für die Arbeit einer Schuldnerberatung gibt es nicht. Insbesondere bei den Schuldnerberatungen der Verbände ist dies doppelt misslich. Denn zum einen wird durch die weitgehend unzureichende personelle Besetzung (hier sind fast nie Juristen tätig) und durch die Proforma-Abwicklung der Fälle die Absicht des Gesetzes untergraben, die Insolvenz abzuwenden, wenn das Potential dafür vorhanden ist. Zum anderen wird dadurch der (nicht gerechtfertigte) Eindruck gestärkt, die insolvenzabwendende Einigung sei kein sinnvolles Instrument der Insolvenzordnung.
Aber auch für Rechtsanwaltskanzleien gilt: Eine erfolgreiche Insolvenzberatung setzt Erfahrung und Spezialisierung voraus. Wer also die Insolvenz abwenden will, sollte dringend die Qualitätsanforderungen für die Beratungsstellen berücksichtigen.
3. Hinweis
Auch wenn es nur für den Fachmann erkennbar ist: Die Statistik unterstreicht, welche Eigenverantwortung dem Schuldner schon bei der Suche der richtigen Schuldnerberatung zukommt. Will er – wenn möglich – die Insolvenz vermeiden, bedarf es eines tragfähigen Entschuldungskonzepts und einer effektiven Verhandlungstätigkeit durch einen erfahrenen und auf diese Tätigkeit spezialisierten Juristen. Die Möglichkeit, fehlende Zustimmungen zu ersetzen, ist ein wichtiges Werkzeug einer guten Schuldnerberatung. Die in der Statistik ausgewiesene geringe Erfolgszahl lässt den Schluss zu, dass dieses Werkzeug trotzdem kaum Verwendung findet. Dies wiederum lässt – zumindest mittelbar – auch einen Rückschluss auf die Arbeitsweise der Mehrheit der Schuldnerberatungsstellen zu.
4. Nachtrag 2018
Gemessen daran, welche Bedeutung der Statistik in Insolvenzsachen beigemessen wird, ist es kaum verständlich, warum auch heute noch keine bessere Auswertung der Zahlen erfolgt. Zum einen liegt es natürlich daran, dass die dafür nötige Erhebung weitgehend fehlt(e). Noch heute geht es über die allhjährliche Mitteilung (meist von Auskunfteien), wie viele Leute die Insolvenz beantragt haben, nicht hinaus. Da diese Zahlen notwendigerweise schwanken müssen, heißt es dann in dem einem Jahr, die Insolvenzen gehen zurück, während es im nächsten heißt, die Insolvenzen nehmen zu. Wie immer ergänzt sich dies kurzschlüssig mit der Behauptung, die gute oder schlechte wirtschaftliche Gesamtssituation wäre der Grund. Schon ein simpler Vergleich mit den Vorjahreszahlen könnte Aufschluss geben, dass diese Differenzen selten signifikant sind.
Dieser Artikel erschien 2010. Damals beklagten wir, dass Rückschlüsse aus diesen Zahlen nicht gezogen würden, insbesondere in Bezug auf die Effektivität außergerichtlicher Einigungen. Tatsächlich hatte der Gesetzgeber später im Jahr 2012 kurzzeitig beabsichtigt, Einigungsverfahren ganz aus dem Gesetz zu streichen mit der Aussage, die Einigungsverfahren spielten in der Praxis nur eine sehr geringe Rolle.[5] Wenn man nicht in der Lage ist, die Zahlen zu hinterfragen oder für aussagekräftigere Zahlen zu sorgen, dann ist die Statistik letztlich wenig nützlich. Das hat die Entwicklung im Jahre 2012 deutlich gezeigt und dadurch bedauerlicherweise unsere Kritik aus dem Jahr 2010 bestätigt.
Das alles ist lange her. Aber inhaltlich ist diese Kritik nach wie vor berechtigt. Denn immer noch findet keine effektive flächendeckende Schuldnerberatung statt, weil Rückschlüsse auf die Qualität der Arbeit aus den Statistiken nicht abgelesen werden. Daher fehlt es auch am nötigen Maß der Steuerung. Für die außergerichtliche Tätigkeit werden auch zukünftig nur Zahlen der Wohlfahrtsverbände herangezogen, bei denen die Schuldnerberatung zum Verschiebebahnhof in die Insolvenz degeneriert ist.