Unpfändbarkeit von Corona-Beihilfen

Antragstellung mit Rückenwind: Landgericht Köln (39 T 57/20)

 Juni 2020  Corona hat weitreichende wirtschaftliche Folgen, das weiß jeder. Betroffen sind insbesondere selbständig tätige Personen. Beihilfen[1] fließen reichlich, sie sollen die schlimmsten Auswirkungen mildern. Aber wie sind diese Hilfen pfändungsrechtlich zu behandeln? In der Regel fließt das Geld auf das Konto einer Person; ist dieses Konto gepfändet, gelten grundsätzlich erst einmal nur die Freigaben, die das P-Konto von sich aus gewährt, meist zu wenig, um die Hilfszahlung zu sichern. Es bleibt also in vielen Fällen nur eine Möglichkeit: einen Antrag auf Freigabe zu stellen. Worauf kann sich so ein Antrag stützen? Wie ist er zu stellen? Das ist Thema dieses Artikels.

Eins, zwei, drei – pfändungsfrei?

1. Wenn man eine Regelung zur Pfändbarkeit dieser Beihilfen in der Zivilprozessordnung (ZPO) sucht, muss man daran denken, dass die aktuelle Situation und die spezielle Form der Hilfen nur begrenzt (besser: gar nicht) voraussehbar waren. Eine direkte Regelung findet man dort nicht. Die meisten Tatbestände, aus denen sich eine Unpfändbarkeit ergibt, finden sich § 850a ZPO. Dort allerdings lässt sich kaum ein direkter Anwendungsfall finden. Zudem gilt § 850a ZPO nur für Einkommen im Sinne des § 850 ZPO (bei Selbständigen in Verbindung mit § 850i ZPO auch geschützt als selbsterzieltes Einkommen), worunter grundsätzlich nur wiederkehrende Leistungen (oder Vergütungen) zu verstehen sind, also gerade keine einmaligen Beihilfen.

2. Die Unpfändbarkeit kann sich aber auch direkt aus der rechtlichen Regelung ergeben, mit der die Coronabeihilfe gewährt wurde. Ist dort direkt vom Gesetzgeber eine Pfändungsfreiheit statuiert worden, dann folgt der Pfändungsschutz hieraus. Allerdings gibt es keine einheitliche Regelung für die speziellen Coronabeihilfen, und es ist auch davon auszugehen, dass man diese zum Teil mit heißer Nadel gestrickten Hilfen nicht unbedingt mit einer ausdrücklichen Pfändungsfreigabe versehen hat.

3. Als dritte Möglichkeit verbleiben allgemeine Schutzregelungen in der ZPO. Hier bietet sich § 851 Abs. 1 ZPO an. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung aus dieser Norm hergeleitet, dass eine Höchstpersönlichkeit von Ansprüchen ein Pfändungshindernis darstellt. Gemeint sind Zahlungen, die einen bestimmten (geschützten) Zweck verfolgen, der durch die Pfändung nicht mehr erreicht werden kann. – Das scheint nicht nur auf den ersten Blick passend, es gibt für die Anwendung dieser Norm inzwischen auch eine brauchbare – konkret auf Coronahilfen bezogene – Rechtsprechung, die bei Pfändungsfreigabeanträgen herangezogen werden kann und sollte: der Beschluss des Landgerichts Köln vom 23.04.2020 (39 T 57/20, Link zum Herunterladen am Ende des Artikels).

Beschluss des Landgerichts Köln

Das Landgericht Köln stellt fest, dass die Zweckbindung der Coronahilfe ein Fall des § 851 Abs. 1 ZPO darstellt. Voraussetzung ist lediglich, dass die Zweckverfolgung der Hilfezahlung erkennbar ist. Dabei lässt das Gericht ausreichen, dass sich dies aus einer Norminterpretation (der Beihilfe) ergibt. Es muss also im Beihilfetext oder der zugrunde liegenden Regelung noch nicht einmal ausdrücklich formuliert worden sein. Man wird daher sagen können, dass Coronahilfen nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich immer freigegeben werden müssen, denn es dürfte faktisch immer der Zweck verfolgt werden, eine durch die besondere Situation entstandene finanzielle Belastung auszugleichen. Das Gericht formuliert dies wie folgt:

“[…] der Anspruch des Schuldners aus dem Bescheid der Bezirksregierung Köln auf Gewährung der Corona-Soforthilfe ist ein nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbarer Anspruch. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind seit langem außer der Höchstpersönlichkeit von Ansprüchen die Fälle der Zweckbindung als Pfändungshindernisse anerkannt, die den Gläubigerzugriff gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ausschließen, soweit er mit dem zum Rechtsinhalt gehörenden Anspruchszweck unvereinbar wäre (BGH, Beschluss vom 05.11.2004 – IXa ZB 17/04 –, juris, Rn. 10). Die Zweckbindung muss sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ableiten, wie dies z.B. bei den Vorschriften zur Gewährung öffentlicher Beihilfen regelmäßig der Fall ist. Sie kann sich auch aus der Natur des Rechtsverhältnisses und bei öffentlich-rechtlichen Leistungen ferner aus den einschlägigen normersetzenden oder norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften ergeben (BGH, Urteil vom 29.10.1969 – I ZR 72/67 –, juris, Rn. 23). Nach dieser Maßgabe ist die Corona-Soforthilfe – wie vom Amtsgericht richtig erkannt – ohne Weiteres als zweckgebunden anzusehen, da sie ausweislich des im Bescheid mitgeteilten Leistungszwecks der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Begünstigten und der Überbrückung von dessen aktuellen Liquiditätsengpässen infolge der Corona-Pandemie dient […]”

Eine Ausnahme sieht das Landgericht nur dann als gegeben an, wenn es sich um Vollstreckungen aus einer Forderung handelt, die anlässlich der Coronahilfe entstanden ist.

Antragstellung – § 765a ZPO

Die Durchsetzung der Unpfändbarkeit geschieht durch eine Antragstellung beim Vollstreckungsgericht (oder der vollstreckenden Stelle, falls es sich um selbstvollstreckende Körperschaften handelt wie zum Beispiel das Finanzamt). In diesem Falle geschieht dies nicht (wie sonst regelmäßig bei Konten) nach § 850k Abs. 4 ZPO sondern (Achtung!) nach § 765a ZPO. Der Grund ist “einfach”: § 850k Abs. 4 ZPO schützt nur laufende Einkünfte im Sinne des § 850 ZPO (bzw. § 850i ZPO), nicht einmalige Hilfen.

§ 765a ZPO stellt für sich genommen einen Auffangtatbestand dar. Mit Auffangtatbeständen sollen Fälle geregelt werden können, die unvorhersehbar sind und für die eine reguläre Normanwendung zu unvertretbaren Ergebnissen führen würde. Wie alle Auffangtatbestände wird § 765a ZPO nur äußerst zurückhaltend verwendet, also wirklich nur in Ausnahmen, da die speziellen Regelungen des Pfändungsrechts nicht ausgehebelt werden dürfen. § 765a ZPO stellt zudem weitere Anforderungen, insbesondere muss die durch den Antrag angegriffene Maßnahme (hier: der Pfändungsbeschlag der Coronahilfen)

“unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte [bedeuten]” (§ 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

Wie gesagt, es handelt sich um einen Auffangtatbestand, bei dem die Rechtsprechung sehr hohe Maßstäbe anlegt. Aber in diesem Falle hat das Landgericht Köln in der o.g. Entscheidung das Vorliegen dieser Voraussetzung bejaht. In der Entscheidung heißt es dazu:

“Ist der Anspruch aus der Corona-Soforthilfe zweckgebunden und unpfändbar, würde die Unpfändbarkeit allerdings mit Eingang des Betrages auf dem Konto des Schuldners verloren gehen, da in diesem Moment der Anspruch des Schuldners auf die Zahlung erlischt und zu einem Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen die Bank in derselben Höhe wird. Dies wäre in höchstem Maße unbillig und liefe der Intention des Gesetzgebers zuwider.”

Das bedeutet: Gerade weil der sonst im Rahmen des P-Konto-Schutzes einschlägige § 850k Abs. 4 ZPO nicht anwendbar ist, muss der Schutz über § 765a ZPO (als einzig verbleibende Antragsnorm) geregelt werden.

Wir ziehen das Fazit

Das Fazit lautet, dass die Freigabe der Coronahilfen regelmäßig unter Bezugnahme auf diese Entscheidung gelingen wird. Auch ohne diese Entscheidung waren die Aussichten zur Freigabe gut, aber die Erfahrung zeigt, dass sich Vollstreckungsgerichte und -behörden sehr viel leichter der Entscheidung eines Landgerichts oder des Bundesgerichtshofs anschließen, ehe sie eigene Erwägungen anstellen müssen. Im Übrigen gilt das hier Gesagte natürlich nicht nur für Konten sondern für alle Pfändungen, die in irgendeiner Weise direkt die Coronahilfe angreifen.

Fußnoten:
[1] Nachfolgend sprechen wir unterschiedslos (und untechnisch) von “Beihilfen”, ohne Berücksichtigung besonderer Bezeichnungen wie zum Beispiel „Soforthilfen“, “Hilfszahlungen” u.s.w. Allerdings gehen wir von einer einmaligen Zahlung aus. Bei wiederkehrenden Zahlungen könnte es sich auch um Einkommen handeln. Dann wäre der Pfändungsschutz schon über die regulären Normen, also insbesondere § 850a ZPO und die Antragstellung ggf. über § 850k Abs. 4 ZPO möglich. Auch sind keine einmaligen Sozialleistungen iSd. § 54 Abs. 2 oder § 54 Abs. 3 Ziff. 3 SGB I gemeint, da diese gem. § 850k Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausdrücklich (“automatisch” und unabhängig vom speziellen Anlass oder Zweck) geschützt sind und auf dem P-Konto mit einer einfachen Bescheinigung einer Schuldnerberatungsstelle freigegeben werden können. [ZURÜCK]
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3 Comments

  1. Ich habe von meinem Arbeitgeber 2021 2x Corona “Dankebonus” zum normalen Gehalt bekommen. Dieser Dankebonus wurde mir jedoch voll angerechnet und an meinen Insolvenzverwalter überwiesen. Jetzt habe ich folgende Frage. War dies rechtens? Bin im Mai 22 mit Insolvenz fertig und kann ich ggf den Bonus zurück fordern?


    ANTWORT: man muss unterscheiden. Es gibt zunächst einmal Coronabeihilfen, die aufgrund einer gesetzlichen Hilferegelung gezahlt werden. Das ist bei den Hilfen für Selbständige weitgehend der Fall gewesen. Bei den zum Einkommen gezahlten Zuschlägen aufgrund Corona liegt hingegen meist nur die Entscheidung des Arbeitgebers zugrunde, den Mehraufwand durch eine Zulage auszugleichen. Da diese Zulagen in der Regel zum Einkommen gezahlt werden und auch als Einkommen anzusehen sind, liegt es nahe, sie als Erschwerniszuschläge im Sinne des § 850a ZPO zu behandeln, was zumindest eine teilweise Unpfändbarkeit zur Folge hätte. Den vollen Betrag abzuführen, halte ich für problematisch, das wäre wohl nur möglich, wenn man die im Einkommen gezahlte Coronahilfe als reine Prämie ansehen würde. Aber selbst dann, wenn man im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass es sich um einen Erschwerniszuschlag handelt, wäre (da es sich ja um eine Zahlung im Rahmen des Einkommens handelt) der Zuschlag zumindest nach den Regeln der Pfändungstabelle zu behandeln und deshalb teilweise unpfändbar (wenn keine Unterhaltspflichten sind zu 3/10 usw.). Die Abführung des vollen Betrags durch den Arbeitgeber ist also grundsätzlich nur dann möglich, wenn man diese Zahlung nicht mehr dem Einkommen zurechnen kann. Wie das gehen soll (das Geld kommt vom Arbeitgeber!) ist mir ein Rätsel.

  2. Hallo zusammen. Aktuell werden die sogenannten Neustarthilfen ausgezahlt. Damit sollen die Monate Januar bis Juni überbrückt werden, die Beträge werden aber aufsummiert als Einmalzahlung gewährt. Wäre auch in diesem Fall die Freigabe nach § 765a zu beantragen? Schließlich soll die Einmalzahlung einen Ersatz für die 6-monatigen Einkünfte darstellen. Vielen Dank vorab für eine Beurteilung.


    ANTWORT: Ich antworte sehr spät auf Ihre Frage, weil ich noch eine neuere Rechtsprechung des BGH einflechten wollte. Dazu bin ich noch nicht gekommen, werde das aber wohl recht bald mal ergänzen. Ich denke auch, dass man die Frage allgemein beantworten kann: Neustarthilfen sind ganz sicher nicht anders zu behandeln als die Coronahilfen. Sie stellen ganz sicher keinen Einkommensersatz im engeren Sinne dar, es sei denn, dass sie in dem zugrunde liegenden Gesetz ausdrücklich als solche konzipiert worden sind. Es ist also sehr naheliegend, dass die Hilfen genauso zu beurteilen sind wie vergangene Coronahilfen. § 765a ZPO wurde bei den Coronahilfen angewendet, weil man damit deutlich machen wollte, dass die Zahlung selbst, unabhängig von der Höhe, unpfändbar ist. Das wäre dann hier das gleiche, denn wenn der Zahlungshintergrund identisch ist, dann ist es auch der Schutz der Zahlung. Vielleicht habe ich Ihre Frage auch nicht richtig verstanden, aber Sie müssen bedenken, dass es für die Schutzkonzeption wesentlich darauf ankommt, wo die Pfändung platziert wird. Da kaum zu erwarten ist, dass ein Gläubiger direkt bei der zahlenden Stelle pfändet, ist es regelmäßig das Konto, das Probleme macht. Die Antragstellung ist hier schon deshalb erforderlich, weil das Konto oder die Bank von sich aus die Pfändbarkeit oder Unpfändbarkeit nicht prüft, sondern lediglich die allgemeinen Freibeträge beachtet. Um also die unpfändbaren Beträge zu erhalten, muss man regelmäßig etwas tun. Entweder ist es ein Antrag nach § 850k Abs. 4 ZPO oder aber der (zumindest für die Coronahilfen mögliche) Weg über § 765a ZPO.

  3. Hallo. Ich sollte 700,- Euro als Corona Sonderzahlung bekommer habe nur 400 bekommen. Obwohl auch den Gläubiger den §850 ZPO und 851ZPO zugesand hatte. Das Gericht hat mir das als richtig bestätigt. Was tun ,wenn die restlichen 300,- Euro für eine Pfändung weg gegangen ist? Auch die Schuldnerberatung SIG. hatte mir recht gegeben.


    ANTWORT: nicht ganz uninteressant ist, auf welche Pfändung sich dieser Vorgang bezieht. Handelt es sich um eine Kontopfändung, dann muss die Antwort ganz anders aussehen, als wenn zum Beispiel der Arbeitgeber die Coronahilfe pfändungstechnisch nicht beachtet hat. Auch müsste man wissen, was das Gericht genau beschlossen hat. Ich will damit nur sagen, warum ich leider Ihre Frage nicht ansatzweise beantworten kann, da ohne diese Kenntnis der konkreten Umstände eine Einschätzung nicht möglich ist. Wichtig ist vielleicht eines: falls es um die Frage des Kontoschutzes geht muss man wissen, dass dort die Unpfändbarkeit von Beträgen keine Rolle spielt, denn Sie erhalten von vornherein nur einen Grundfreibetrag über das P-Konto. Alles andere muss man stets durch einen Antrag freigeben lassen. Wenn Sie eine derartige Freigabe durch Gerichtsbeschluss erhalten haben sollten und die Bank ihn nicht beachtet, liegt das Problem ja nicht im Pfändungsrecht, sondern in der unzureichenden Behandlung durch die Bank. Handelt es sich hingegen um die Frage, ob der Arbeitgeber den pfändbaren Teil des Lohnes richtig berechnet hat, dann wäre es eine arbeitsrechtliche Frage. Man muss ganz klar sagen, die Unpfändbarkeit führt nicht automatisch dazu, dass die Beträge überall ohne weiteres von selbst geschützt sind. Man muss (wie das Beispiel P-Konto zeigt) manchmal Anträge stellen oder sonstige Maßnahmen ergreifen, damit die Unpfändbarkeit tatsächlich beachtet wird.

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