Unterhaltsschulden: Altschulden in der Insolvenz

Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Warum es auch außerhalb der Insolvenz von Bedeutung ist.

Unterhalt

Grundsätzliches zu Unterhaltsschulden

 Februar 2011/ 2018  Wenn ein Gläubiger in das Einkommen des Schuldners vollstreckt, ist der Schuldner vor „Kahlpfändung“ geschützt: § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) und die aktuelle Pfändungstabelle legen die Grenze fest, bis zu der das Einkommen des Schuldners wirksam gepfändet werden kann. Diese Grenze liegt wesentlich über dem „Sozialhilfeniveau“; die konkrete Höhe ist von der Zahl der Unterhaltsverpflichtungen des Schuldners abhängig.

Ausnahmen gibt es allerdings auch hier. Die wichtigste: Unterhaltsschulden. Gemäß § 850d ZPO ist es dem Unterhaltsgläubiger möglich, Pfändungen in das Einkommen derart vorzunehmen, dass dem Schuldner nur noch der Sozialhilfesatz verbleibt. In § 850d ZPO heißt es hierzu:

…Bezüge [sind] ohne die in § 850c bezeichneten Beschränkungen pfändbar. Dem Schuldner ist jedoch so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf…

Die Privilegierung folgt der Annahme, dass das Wohl der Unterhaltsberechtigten eine Besserstellung gegenüber anderen Gläubigern rechtfertigt. Dem wird man sicher gern zustimmen. Allerdings zeigt ein Blick auf § 850d ZPO auch die Schwächen der Norm in Bezug auf Altschulden (sog. überjährige Rückstände). Hierzu heißt es in § 850d:

Für die Pfändung wegen der Rückstände, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass des Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind, gelten die Vorschriften dieses Absatzes insoweit nicht, als nach Lage der Verhältnisse nicht anzunehmen ist, dass der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat.

Anders als der Wortlaut vermuten lässt, führt dieser Passus in der Praxis regelmäßig dazu, dass Unterhaltsstellen noch viele Jahre nach dem Eintritt der Unterhaltsschuld auf die erweiterte Pfändbarkeit zurückgreifen können. Denn dem Sperrriegel, der mit dem Erfordernis des absichtlichen Entziehens festgelegt ist, fehlt das Schloss. Die Rechtsprechung hat nämlich klargestellt, dass es dem Unterhaltsschuldner obliegt, den Beweis zu führen, dass die Absicht nicht vorlag (BGH, 21.12.2004 – IXa ZB 273/03, der BGH begründet seine Entscheidung insb. mit der Entstehungsgeschichte des § 850d). Dies hat dazu geführt, dass Unterhaltsstellen die Frage der Absichtlichkeit oftmals gar nicht erst prüfen. Je älter die Forderung ist, wegen der sich die Unterhaltsgläubiger auf die erweiterte Pfändbarkeit berufen, je geringer also der Schutzbedarf erscheint, je höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dem Schuldner der Beweis der Nichtabsichtlichkeit nicht (mehr) gelingt. Dieser Freibrief geht selbstverständlich zu Lasten der übrigen Gläubiger und lässt dem Schuldner regelmäßig nur noch einen Ausweg offen: Die Insolvenz. Die Ausführungen des BGH zu dieser Frage zeigen deutlich, dass die hierbei bestehenden Inkonsistenzen nur durch den Gesetzgeber beseitigt werden können.

Unterhaltsschulden in der Insolvenz: Neuschulden

In der Insolvenz besteht die Möglichkeit der erweiterten Pfändbarkeit bzgl. Unterhaltsschulden jedenfalls dann, wenn es sich um Neuschulden handelt. „Neuschulden“ sind jene Schulden, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Daran ist nichts auszusetzen, da dies grundsätzlich für alle Neuschulden gilt.

Unterhaltsschulden in der Insolvenz: BAG-Urteil zu Altschulden

Was aber ist nun mit den Unterhaltsaltschulden (also Unterhaltsschulden, die vor der Insolvenz entstanden sind)? Dazu gibt es seit 2009 eine klare Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts BAG, Urteil vom 17. 09. 2009 – 6 AZR 369/08, die leider einigen Unterhaltsstellen noch nicht bekannt zu sein scheint (siehe dazu auch: „Behördenmurks“). Diese Entscheidung stellt für Altschulden fest (Leitsätze der Entscheidung, Hervorhebung durch uns):

1. Aus einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der von einem Unterhaltsberechtigten vor Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners erwirkt worden ist, kann nach der Insolvenzeröffnung die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsrückständen aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung nicht mehr betrieben werden (§ 89 Abs. 1 InsO). Die Ausnahme von dem generellen Vollstreckungsverbot in § 114 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO betrifft nur die während des Insolvenzverfahrens neu entstehenden laufenden Unterhaltsansprüche.

2. Wird dem Schuldner des Verbraucherinsolvenzverfahrens Restschuldbefreiung nach § 291 InsO in Aussicht gestellt, kann auch in der Wohlverhaltensphase die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsrückständen aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung nicht betrieben werden. Dem steht das Vollstreckungsverbot des § 294 InsO entgegen.

Fazit (auch für Verfahren außerhalb einer Insolvenz)

Die Vollstreckungsmöglichkeiten für Unterhaltsaltschulden gem. § 850d ZPO führen in der Praxis oft zu nicht sachgemäßen Ergebnissen. Der Grundgedanke der Norm, Unterhaltsgläubigern den erforderlichen Lebensunterhalt zu garantieren und sie zu diesem Zweck gegenüber „allgemeinen“ Gläubigern besser zu stellen wird umso weniger erreicht, je älter die Unterhaltsschulden sind. Gerade bei diesen Schulden ist es aber umso leichter möglich, dem Schuldner die Beweismöglichkeit der fehlenden Absicht abzuschneiden. Dieses unbefriedigende Ergebnis wird in der Insolvenz durch die BAG-Entscheidung wett gemacht. Denn nach diesem Urteil verlieren Unterhaltsgläubiger in der Insolvenz die Privilegierung des § 850d ZPO für Altschulden. Es ist daher für Unterhaltsgläubiger nicht ratsam, den Beginn der außergerichtlichen Schuldenbereinigung (§ 305 InsO) zum Anlass zu nehmen, die erweiterten Pfändungsmöglichkeiten des § 850d ZPO in Anspruch zu nehmen. Denn dies berechtigt den Schuldner, ohne ein weiteres Angebot an die Gläubiger sofort Insolvenz anzumelden. Da im Insolvenzverfahren die „normale“ Pfändungsfreigrenze gilt, riskiert der Unterhaltsgläubiger, nunmehr gar nichts mehr zu erhalten.

Beachte in diesem Zusammenhang: Wurde durch die Nichtzahlung des Unterhalts der Straftatbestand des § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) erfüllt, stellt dies eine vorsätzliche Schädigung dar (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB), aufgrund der ein Unterhaltsgläubiger eine Ausnahme der Forderung von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Ziff. 1 InsO erreichen kann. Dieser Umstand beruht dann nicht primär auf der Tatsache, dass es sich um Unterhaltschulden handelt, sondern eine vorsätzliche Schädigung (sog. deliktische Forderung) vorliegt. Anders als bei der Frage nach der erweiterten Pfändbarkeit gem. § 850d ZPO setzt dies aber voraus, dass die Leistungssfähigkeit des Unterhaltsschuldners zum relevanten Zeitpunkt feststeht. Mehr zum Thema Ausnahme von der Restschuldbefreiung.
UPDATE 2014/2018:
Es besteht seit dem 01.07.14 eine Besonderheit zu § 302 InsO, die es bei der Erstveröffentlichung des Artikels im Jahr 2011 noch nicht gab: Altschulden können in der Insolvenz von der Restschuldbefreiung inzwischen schon dann ausgenommen werden, wenn sie pflichtwidrig nicht geleistet wurden (bis dahin war, wie oben beschrieben, eine Vorsatztat erforderlich). Dazu wurde der § 302 InsO erweitert.

An dieser Aufweichung des Ausnahmetatbestands ist vielfach Kritik geübt worden. Es bleibt hier noch abzuwarten, ob der Nachweis der „Nicht-Pflichtwidrigkeit“ wie bei § 850d ZPO dem Schuldner aufgehalst wird oder man zumindest hier verlangt, dass der Gläubiger entsprechenden Beweis erbringt, lies dazu bitte auch unseren Artikel Seit 01. Juli 2014: Neues Insolvenzrecht – TEIL 1.

Rückblickend 2018 kann man feststellen, dass der Run auf § 302 InsO weitgehend ausgeblieben scheint.

Bearbeitungen: Februar 2011/ ergänzt: 2014; überprüft  und aktualisiert 04.02.2018
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