Der nachfolgende Fall hat sich nachweislich im Jahre 2010 ereignet und ist uns aus den Berichten einer Schuldnerberatungsstelle aus Leipzig bekannt geworden. Die Fälle sind nicht repräsentativ, da die meisten Gläubiger – und natürlich auch Behörden – sich an die Verfahrensvorgaben halten. Aus der Erfahrung lässt sich indes sagen, dass es kein einheitliches Vorgehen der Behörden gibt. Auch muss schon eingangs festgehalten werden, dass diese Fälle hätten nicht eintreten müssen, wenn die Schuldner sich rechtzeitig an ihre Schuldnerberatung gewandt hätten oder deren dringender Empfehlung gefolgt wären.
Wenn Behörden Ärger machen
Der Unterhaltsstelle X wurde die Einleitung eines Verfahrens gem. § 305 InsO bekannt gegeben. Sie meldete Ihre Forderungen aus dem Jahr 1994(!) an und platzierte – obwohl sie seit 1994 nicht ein einziges Mal vollstreckend tätig wurde – nunmehr sofort eine Lohnpfändung beim Schuldner gem. § 850d ZPO. Diese Regelung sieht vor, dass Pfändungen unabhängig vom Pfändungsfreibetrag gem. § 850c ZPO erfolgen dürfen. Sofern es sich – wie hier – um Altschulden handelt, ist dies zwar nur möglich, wenn der Schuldner die Zahlung (im Jahre 1994) „absichtlich“ nicht vorgenommen hat. Im vorliegenden Falle lag für jedermann erkennbar diese Absicht zwar nicht vor, da die Einstellung der Zahlung 1994 durch die Arbeitslosigkeit des Schuldners verursacht wurde. Die Unterhaltsstelle muss das Vorliegen der Absicht allerdings nach der Rechtsprechung des BGH nicht beweisen.
Da der Arbeitgeber bei Eingang des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses dem Schuldner zu verstehen gab, dass er nicht vorhabe, sich mit derartigen Problemen auseinanderzusetzen, gab der Schuldner dem „Vorschlag“ der Unterhaltsstelle nach, die Pfändung gegen eine Abzahlungsvereinbarung zu ersetzen, um nicht zu riskieren, dass sein Arbeitgeber Mittel und Wege finden würde, sich von ihm zu trennen. Dies hätte letztlich auch zur Folge gehabt, dass der Schuldner seinen aktuell bestehenden Unterhaltspflichten nicht mehr hätte voll nachkommen können.
Die Unterhaltsstelle übersandte dem Schuldner – ohne jegliche Einbeziehung der rechtsgültig durch Vollmacht ausgewiesenen Schuldnerberatungsstelle – einen Vergleichsentwurf, nach dem der Schuldner sich verpflichten sollte, 200 Euro monatlich an die Unterhaltsstelle zu zahlen. Warum dieses Vorgehen der Unterhaltsstelle unsinnig ist, zeigt sich (nicht) nur für den Rechtsverständigen: Sie hat damit die Möglichkeit eröffnet, das Verfahren sofort in die Insolvenz überzuleiten, da durch dieses Verhalten offenbar wurde, dass die Behörde sich nicht rechtskonform an dem Versuch der außergerichtlichen Schuldnerbereinigung zu beteiligen gedenkt. In der Insolvenz wären – auch für die Unterhaltsstelle – dann lediglich Auskehrungen aus dem nach § 850c ZPO pfändbaren Einkommen möglich, da alte Unterhaltsaltschulden unabhängig von § 850d ZPO in der Insolvenz nicht mehr bevorzugt bedient werden, der Gläubiger also nicht mehr auf die erweiterte Pfändbarkeit zugreifen kann. Damit hat die Unterhaltsstelle dem Schuldner die Möglichkeit genommen, allen Gläubigern einen Zahlungsvorschlag zu machen, bei dem sie mehr erhalten hätten, als in der Insolvenz. Die Unterhaltsstelle hat also selbst dafür gesorgt, dass sie nunmehr so gut wie nichts mehr erhält (siehe dazu: Unterhaltsaltschulden).
Allgemein gilt: Die verfahrensführende Schuldnerberatung muss zuverlässig Vollstreckungsversuche abwehren. Allerdings kann sie dabei nur auf den rechtlich vorgesehenen Weg agieren. Gläubiger die unüberlegt Pfändungen platzieren, riskieren, am Ende sehr viel weniger oder gar nichts mehr zu bekommen. Der einzige Erfolg solcher Maßnahmen besteht darin, den Schuldner zu Lasten auch aller übrigen im Verfahren beteiligten Gläubiger zum Abbruch des außergerichtlichen Verfahrens und zur sofortigen Eröffnung der Insolvenz zu zwingen.
Dieser Fall dürfte ein Ausnahmefall sein. Zum einen handelt es sich um spezielle Schulden im Rahmen einer Unterhaltsverpflichtung, zum anderen kennen wir aus der Praxis bisher keinen anderen Fall, der sich in dieser Weise abgespielt hätte. Unterhaltsstellen nehmen erfahrungsgemäß rechtskonform an den Entschuldungsverfahren teil und nehmen sehr häufig fundierte Schuldenbereinigungspläne auch an. Umso ärgerlicher ist es, wenn eine einzelne Stelle auf die oben beschriebene Art agiert.
März 2010