Bußgeld in der Insolvenz – Landgericht Stralsund

Auch das Landgericht Stralsund bestätigt: Keine Durchsetzbarkeit der Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Beschluss des LG Stralsund vom 25.01.2016, Az. 26 Qs 18/16

Landgericht Stralsund, Wappen Mecklenburg-Vorpommern

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Die meisten Landgerichte dürften sich zwischenzeitig bei der Frage, ob ein Bußgeld, das vor Eröffnung der Insolvenz entstanden ist, noch im Insolvenzverfahren vollstreckt werden kann (insbesondere durch Beugehaft), der Entscheidung des Landegerichts Hannover anschließen. Den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 04.06.2014 haben wir bereits hier veröffentlicht und besprochen. Inzwischen liegt uns auch eine Entscheidung des Landgerichts Stralsund vom 25.01.16 vor, die einen Beschluss des Amtsgerichts Greifswald aufhebt.

Das zeigt, dass bei vielen Amtsgerichten diese Rechtsprechung immer noch nicht angekommen ist. Im vorliegen Fall ist das umso bedenklicher, als das LG Stralsund bereits 2014 in diesem Sinne entschieden hat (dies wird in der Begründung auch erwähnt, siehe unten).

Es sollte also in jedem Falle sofortige Beschwerde eingelegt werden, wenn das Amtsgericht am Ausspruch der Haftandrohung trotz Eröffnung der Insolvenz festhält. Wie Sie vielleicht sehen, ging es im nachfolgenden Fall nicht wirklich um viel (30 Euro), aber manchmal muss man auch aus Prinzip Anträge stellen.

Wir empfehlen, hierzu auch unsere Ausführungen zur Entscheidung des Landgerichts Dresden zu lesen (klick hier).

 

Aktenzeichen: 26 Qs 18/16
1. Instanz: AG Greifswald 336 OWiG 509/15

Landgericht Stralsund

Beschluss

 

ln dem Bußgeldverfahren gegen […]**, geboren am […] in Greifswald, Staatsangehörigkeit: deutsch, wohnhaft: […]

Verteidiger: Rechtsanwalt Andreas Grundmann, Königstraße 12, 01097 Dresden, Gz.: […]

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hier: Beschwerde gegen die Anordnung von Erzwing[ung]shaft hat das Landgericht Stralsund – 26. Strafbeschwerdekammer als Kammer für Bußgeldsachen […] am 25.01.2016 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 06.01.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Greifswald vom 04.01.2016, Az: 336 OWiG 509/15 aufgehoben. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

I.

Am 15.05.2014 erließ der Landkreis Vorpommern-Greifswald, Abteilung Straßenverkehr/Bußgeldstelle wegen Verstoßes gegen die Anschnallpflicht ein Bußgeld i.H.v. 30 €. Der Betroffene leistete trotz Zahlungsaufforderung keine Zahlungen.

Am […] 2015 eröffnete das Amtsgericht Dresden, Az: […] IN […]/15 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Betroffenen und stellte fest, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist.

Am 04.01.2016 erließ das Amtsgericht Greifswald auf Antrag einen Erzwingungshaftbeschluss i.H.v. 2 Tagen. Das Amtsgericht folgte der Rechtsansicht, dass trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – auf dieses hatte sich der Betroffene zuvor berufen – Erzwing[ung]shaft zulässig sei. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 06.01.2016 und legte das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ein.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Kammer folgt der Auffassung des Landgerichts Hannover und geht von einem Vollstreckungsverbot für Alt-Bußgelder aus und der Möglichkeit der Vollstreckung in das insolvenzfreie Vermögen für nach Insolvenzeröffnung festgesetzte Bußgelder (Beschluss vom 07.09.2009, NdsRPf 2011, 78 juris).

Die Kammer hatte bereits in der Sache 26 Qs 52/14 (Beschluss vom 10.03.2014) folgendes ausgeführt:

“Der Anordnung von Erzwingungshaft gegen den Betroffenen steht damit § 89 Abs. 1 InsO entgegen. Hiernach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Bei dem sonstigen Vermögen handelt es sich um das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners. Nach Auffassung des Gerichts ist die Anordnung von Erzwingungshaft eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung.

Dies ergibt sich bereits aus der Stellung der Norm des § 96 OWiG im neunten Abschnitt des Ordnungswidrigkeitengesetzes, der die Überschrift “Vollstreckung der Bußgeldentscheidungen” trägt. Der Charakter als Maßnahme der Zwangsvollstreckung ergibt sich aber auch aus dem Zweck des § 96 OWiG. Dieser besteht primär darin, die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße gegen einen zahlungsunwilligen Betroffenen zu erzwingen (vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Auflage, § 96 Rn. 1).

Dass die Norm dem Betroffenen die Möglichkeit belässt, seine Zahlungsunfähigkeit darzulegen und damit die Anordnung von Erzwingungshaft abzuwenden, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Zwar mag es sein, dass § 96 OWiG ebenfalls dem Zweck dient, den Betroffenen dazu anzuhalten, ggf. seine Zahlungsunfähigkeit glaubhaft zu machen. Primärer Zweck ist jedoch die Beitreibung der Geldbuße. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Gesetzes. Hiernach wird Erzwingungshaft dann angeordnet, wenn der Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit nicht dargetan hat und keine Umstände bekannt sind, welche seine Zahlungsunfähigkeit ergeben.

Die Zahlungsunfähigkeit ist damit ein negatives Tatbestandsmerkmal. Dies spricht dafür, dass der ausgeübte Zwang sich nur nachrangig auf eine Mitwirkungshandlung des Betroffenen hinsichtlich der Darlegung seiner Zahlungsunfähigkeit beziehen kann. Die von der Gegenauffassung vertretene Meinung, die Erzwingungshaft sei rechtstechnisch ein Beugemittel, ist zutreffend. Allerdings steht dies der Einordnung der Maßnahme nach § 96 OWiG als solche der Zwangsvollstreckung nicht entgegen. Die Begriffe schließen sich nicht aus. So ist z.B. die Verhängung von Zwangsgeld oder -haft nach § 888 ZPO zweifellos ein Beugemittel, aber auch eine – wenn auch nicht auf die Vollstreckung von Geldforderungen bezogene – Maßnahme der Zwangsvollstreckung.

Der Umstand, dass der Schuldner über die zwischen dem Existenzminimum und den pfändungsfreien Beträgen verbleibenden Teile seiner Einkünfte frei verfügen kann, da diese nicht zur Insolvenzmasse gehören, steht dem Verbot der Anordnung der Erzwingungshaft nicht entgegen. Denn § 89 Abs. 1 InsO verbietet gerade auch Zwangsvollstreckungen in das sonstige Vermögen des Schuldners, das nicht zur Insolvenzmasse gehört. So mag eine freiwillige Zahlung des Betroffenen aus seinem pfändungsfreien Vermögen ohne weiteres möglich sein, erzwungen werden kann sie allerdings nach dem Vorgesagten gerade nicht. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. ln § 39 InsO benennt der Gesetzgeber die nachrangigen Insolvenzgläubiger, zu denen auch – an dritter Stelle der nachrangigen Insolvenzgläubiger – Gläubiger von Geldbußen gehören. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich die staatlichen Gläubiger von Geldbußen als nachrangige Insolvenzgläubiger eingeordnet, die nur in seltenen Fällen auf ausdrückliche Aufforderung des Insolvenzgerichts ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden können (§ 174 Abs. 3 InsO).

Würde man die Anordnung der Erzwingungshaft zur Durchsetzung solch nachrangiger Forderung zulassen, würden die eigentlich nicht privilegierten Forderungen in einer der Grundregel des § 89 Abs. 1 InsO widersprechenden Weise überprivilegiert. Sie könnten sogar in das pfändungsfreie Vermögen vollstreckt werden. Die Vorschriften der §§ 225 Abs. 3 und 302 Nr. 2 InsO stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Gemäß § 225 Abs. 3 InsO kann die Haftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens für Geldstrafen und diesen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten durch den Insolvenzplan weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Gemäߧ 302 Nr. 2 InsO werden von der Erteilung der Restschuldbefreiung Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten des Schuldners nicht berührt. Seide Vorschriften privilegieren die genannten Verbindlichkeiten gerade nicht zwischen Eröffnung und Beendigung des Insolvenzverfahrens, sondern erst im Rahmen von Regelungen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens.” Daran hält die Kammer fest.

 

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO. […]

__________________________
* Die sofortige Beschwerde ist ein Rechtsmittel, das im vorliegenden Fall gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts eingelegt wurde, mit der die Vollstreckung der Beugehaft (Inhaftierung) angeordnet wird. Hilft das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab, entscheidet das Landgericht. ** Die im Text verwendete Freilassung “[…]” stellt jeweils eine von uns vorgenommene Schwärzung (Anonymisierung) dar

 

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One Comment

  1. Das ist ja einfach nicht zu fassen. Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand.?

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