Februar 2011 In ihrer Rede vom 22.02.2011 zum Thema „Gesetzgeberische Schritte zu einem modernen Insolvenzrecht – Reformbedarf und Reformvorhaben in der Diskussion“ nahm Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erneut Stellung zur Abkürzung der Insolvenzverfahren auf drei Jahre. Wir möchten dies gern nochmals nutzen (siehe bereits unseren Artikel Reformbedarf Privatinsolvenz) vom Stand der Dinge berichten. Eines kann man vorwegnehmen: Wie (und wann) die geplante Verkürzung geregelt wird, weiß derzeit niemand außerhalb des Bundesministeriums der Justiz (BMJ). Die allgemein gehaltenen offiziellen Äußerungen zum Thema lassen aber zumindest einige Schlüsse darauf zu, wie die angekündigte Regelung wahrscheinlich aussehen wird. .
I. Kurze Geschichte der Ankündigungen
Die Pläne zur Verkürzung der Wohlverhaltensphase von sechs auf drei Jahre folgen einer Absichtserklärung des Koalitionsvertrags von 2009. Zur Umsetzung äußerte sich die Bundesjustizministerin – nach Ihrer Ankündigung vom 19.01.2010 vor dem Deutschen Bundestag – dezidierter schon in ihrer Rede vom 17.03.2010 vor dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht am 17.03.2010 [1]. Auch in der neuesten Rede vom 22.02.2011 findet die Frage der „Insolvenzverkürzung“ nur am Rande statt.
Nachfolgend stellen wir den Verlauf der Verlautbarungen zur geplanten Verkürzung der Restschuldbefreiung in zeitlicher Reihenfolge dar:
1. Zielbestimmung im Koalitionsvertrag vom 26.10.2009
Im Koalitionsvertrag finden sich mehrere Zielsetzungen für die Reform des Insolvenzrechts.[2] Bezüglich der Insolvenzverkürzung finden sich nur zwei Sätze:
Wir wollen Gründern nach einem Fehlstart eine zweite Chance eröffnen. Dazu wird die Zeit der Restschuldbefreiung auf drei Jahre halbiert. Koalitionsvertrag, S. 25
Interessant daran ist, dass diese Verkürzungsabsicht ohne jede Einschränkung versehen wurde. Ebenfalls interessant ist, dass sich der zitierte Passus nicht etwa unter dem Abschnitt „Reform des Insolvenzrechts“ (S. 18), sondern dem Abschnitt „Gründerland Deutschland“ findet (der wiederum Teil des Programms zur „Förderung des Mittelstands“ ist). Auch sprachlich weist die Absichtserklärung durch die Kondition „dazu“ (= zu diesem Zweck) darauf hin, dass die Verkürzung ausschließlich das Ziel verfolgt, gescheiterten Selbständigen einen Neuanfang zu ermöglichen. Dieses Motiv zeigt, dass die Verkürzung nicht als strukturell notwendig, sondern als eine politisch inspirierte „Morgengabe“ verstanden wird und als solche konzipiert ist. Aus dieser Motivation lässt sich mit etwas „Phantasie“ (der Wortlaut selbst lässt dies nicht zu) sogar schlussfolgern, dass eine allgemeine Verkürzung ohne Einschränkungen schon hier nicht gemeint war, denn den Koalitionären muss aufgefallen sein, dass eine Erleichterung für eine bestimmte Zielgruppe auch Wirkung für alle übrigen Insolvenzerfahren (das ist die Mehrzahl) entfalten muss. Dies legt es nahe, Beschränkungen dieser Wirkung als notwendigen Bestandteil einer derartigen Gesetzesänderung zu implizieren.
2. Die Rede vor dem Bundestag 19.01.2010
Auf den ersten Blick gab die Bundesministerin in ihrer Rede vom 19.01.2010 [3] lediglich die Absichtserklärung des Koalitionsvertrages wieder; eine inhaltliche Erweiterung ist an dieser Stelle noch nicht zu erkennen. Bis auf ein – nicht unwichtiges – Detail: Zwar erwähnte die Ministerin erneut das im Koalitionsvertrag verankerte Motiv für die Gesetzesänderung („zweite Chance“ für Selbständige). Allerdings hat dies hier – zumindest sprachlich – nur noch die Bedeutung eines Beispiels („nicht zuletzt“) für eine offenbar generell als notwendig verstandene Gesetzesänderung:
Außerdem werden wir die Regelung zur Restschuldbefreiung ändern und die Wohlverhaltenszeit auf drei Jahre halbieren. Das soll ein Signal sein. Nicht zuletzt Gründer sollen nach einem Fehlstart eine zweite Chance bekommen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 19.01.2010
Es mag zwar nicht hinreichend sein, allein aus der sprachlichen Wiedergabe einen Begründungswechsel herzuleiten. Denn es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es sich lediglich um eine unsaubere Formulierung handelt. Allerdings fällt auf, dass die im Koalitionsvertrag benannte Motivation auch in den folgenden Verlautbarungen des Bundesjustizministeriums ihre Singularität verliert. In ihrer Rede vom 22.02.2011 (siehe unten I. 5.) wird die Bundesjustizministerin ausdrücklich klarstellen, dass es das Ziel ist, durch die Verkürzung der Restschuldbefreiung „Gründer(n), aber auch überschuldete(n) Verbraucher(n) schneller eine zweite Chance“ zu geben (Hervorhebung durch uns).
3. Die Rede beim Insolvenzrechtstag vom 17.03.2010
In ihrer Rede vom 17.03.2010 machte die Bundesministerin erstmals deutlich, dass mit der im Koalitionsvertrag avisierten Verfahrensverkürzung keine bloße („absolute“) Abkürzung des bisherigen Verfahrens gemeint ist. Damit war nunmehr klargestellt, dass eine generelle Verfahrensverkürzung nicht Ziel der geplanten Gesetzesänderung ist. Der betreffende Abschnitt dieser Rede lautet:
Natürlich werden dabei einige Folgeänderungen zu bedenken sein. Es ist nicht damit getan, die Zahl „sechs“ durch die Zahl „drei“ zu ersetzen. […] Vor allem aber müssen wir bei den Änderungen die Rechte der Gläubiger wahren […] Wir prüfen daher, ob die Restschuldbefreiung an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden soll, etwa die Erfüllung einer Mindestbefriedigungsquote oder die Deckung der Verfahrenskosten. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 17.03.2010
4. Die Rede der Ministerialdirigentin Graf-Schlicker vom 05.11.2010
Dass das Bundesministerium der Justiz (BMJ) „zusätzliche Voraussetzungen“ als unabdingbar für die Verkürzung der Verfahrensdauer ansieht und hierfür eine Mindestquotenregelung favorisiert, lässt sich auch der Rede der Ministerialdirigentin im BMJ Marie Luise Graf-Schlicker auf dem 1. Deutschen Privatinsolvenztag in München vom 05.11.10 entnehmen.[4] In dieser Rede bekräftigte das BMJ mit dem Verweis auf die gravierenden Folgen für die Grundrechte der Gläubiger, es werde keine absolute Verringerung der Verfahrensdauer geben. Die Verkürzung soll vielmehr (jeweils) an Gegenleistungen der Schuldner geknüpft werden. Diesbzgl. wies Graf-Schlicker auf die Regelungen im österreichischen Recht hin. Frank Beck hat daraus in seinem Bericht vom 1. Privatinsolvenztag[4] gefolgert:
Der Hinweis auf die Mindestquoten nach österreichischem Recht lässt den Schluss zu, dass die Erfüllung einer Mindestquote Voraussetzung für die Abkürzung auf drei Jahre werden wird. Frank Beck zur Rede von Marie Luise Graf-Schlicker vom 05.11.2010
5. Die Rede der Bundesjustizministerin vom 22.02.2011
Die jüngste Rede der Bundesministerin vom 22.02.2011 auf dem Symposium des Instituts der Wirtschaftsprüfer zum Thema „Insolvenzrechtsänderungen“ bestätigt diese Annahme. Die entscheidende Stelle der Rede lautet:
…bin ich auch der Meinung, dass die Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer nicht „zum Nulltarif“ erfolgen darf. Eine bloße Abkürzung der Laufzeit der Abtretungserklärung auf drei Jahre wäre ein gravierender Eingriff in das Eigentumsrecht der Gläubiger. Ich denke, dass die Halbierung der Restschuldbefreiungsdauer an gewisse Vorleistungen des Schuldners geknüpft werden sollte. So könnte zum Beispiel nur derjenige Schuldner eine vorzeitige Restschuldbefreiung erhalten, der nach drei Jahren eine bestimmte Mindestbefriedigungsquote erfüllt hat. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 22.02.2011
Weiter heißt es in dieser Rede:
Die Betroffenen sollen möglichst zügig einen Weg zurück in die Schuldenfreiheit und damit in die Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr beschreiten können. Der Koalitionsvertrag sieht – wie Sie alle wissen – vor, die Dauer der Restschuldbefreiung von derzeit sechs auf drei Jahre zu verkürzen. Hierdurch sollen Gründer, aber auch überschuldete Verbraucher schneller eine zweite Chance erhalten. Ich bin überzeugt davon, dass die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens eine sinnvolle Maßnahme ist, um Neugründungen zu fördern und verschuldeten Personen einen Wiedereinstieg ins produktive Wirtschaftsleben zu erleichtern. Allerdings müssen wir bei jeder Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auch die Interessen der Gläubiger im Auge behalten. Es wird bereits die Befürchtung geäußert, dass sich bei einer solch drastischen Verkürzung der Abtretungsfrist die Zahlungsmoral der Schuldner dramatisch verschlechtern wird. Dies könnte sich letztlich auch auf Kreditvergaben auswirken. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 22.02.2011
Damit war zumindest klargestellt, dass die geplante Halbierung lediglich als eine Möglichkeit neben den bestehenden Regelungen hinzutreten soll, womit sich nunmehr nur noch die Frage stellte, wie diese Bedingungen aussehen würden, welchem Personenkreis also die Halbierung späterhin offensteht.
II. Kritik an einer Mindestquotenregelung nach „österreichischem Vorbild“
Die Mindestquotenlösung stößt auf Kritik. Das österreichische Insolvenzrecht sieht bereits eine Mindestquote vor. Die Erfahrungen aus Österreich bestätigen allerdings, dass diese Regelung keine nennenswerte Effektivität besitzt. Frank Beck berichtete vom 1. Privatinsolvenztag[6]:
…ein Teilnehmer aus Österreich erläuterte, dass dort die Verfahren mit einer Mindestquote von 10% im Durchschnitt über sieben Jahre dauern und dass man daher erwägt, die Mindestquoten zu ändern oder abzuschaffen.
III. Unsere Stellungnahme
Das Hauptproblem dürfte darin liegen, dass der „Überschuldungstyp“, für den diese Privilegierung geschaffen werden soll, nicht hinreichend definiert ist. Zwar war dem Koalitionsvertrag noch zu entnehmen, dass die Verkürzung dem Zweck dient, gescheiterten Selbständigen einen Neuanfang zu ermöglichen (womit natürlich nichts über deren Überschuldungstypik gesagt ist). Diese Zielsetzung dürfte allerdings wegen der generellen Wirkung gesetzlicher Regelungen nur schwer umsetzbar sein, wurde daher auch als Motiv verbal sehr schnell „aufgebohrt“.
Auch ist über die konkrete rechtliche Ausgestaltung noch so gut wie nichts bekannt. Dies macht es schwer, die Sinnhaftigkeit einer derartigen Regelung sowie den Umfang der erforderlichen Folgeanpassungen einschätzen zu können. Dass eine bedingte („relative“) Verkürzung die einzige verfassungskonforme Lösung ist, dürfte noch nicht abschließend geklärt sein. Die Antwort steht und fällt mit der Frage nach den Grundrechten der Gläubiger. Die Begründung für die Alternativlosigkeit des „relativen“ Lösungsansatzes des BMJ, der auf eben diese „Gläubigergrundrechte“ abstellt, impliziert allerdings zumindest für viele Kritiker (auch weiterhin), dass diese Rechte in Ländern mit einer generell geltenden niedrigeren Verfahrensdauer (Frankreich, Großbritannien) dann als verletzt angesehen werden müssten.[7] Natürlich muss sich jemand, der behauptet, eine kürzere Restschuldbefreiung wäre angesichts der bestehenden Gläubigerrechte gar nicht möglich, vorhalten lassen, dass die kürzeren Regelungen in anderen Ländern das Gegenteil beweisen.[8]
1. Fragen über Fragen…
Abgesehen davon gibt es eine Menge praktisch relevanter Fragen. Zum Beispiel: Soll ein Schuldner, der über einen hohen pfändbaren Anteil seines Einkommens verfügt, bei dem also die erforderliche Befriedigungsquote im Laufe des Insolvenzverfahrens schon aus den pfändbaren Beträgen erreicht werden kann, von der Verkürzung profitieren, obwohl man gerade in diesen Fällen noch am ehesten ein schützenswertes Interesse der Gläubiger erkennen kann, das Verfahren bis zum Ende durchzuführen? Oder gibt es Überlegungen, die Mindestbefriedigungsquote an den freiwilligen Leistungen aus dem unpfändbaren Bereich zu messen und damit den besonderen und freiwilligen Einsatz des Schuldners zu honorieren? Wenn es aber auf die individuelle Anstrengung ankommen soll, kann diese dann an einer pauschalen Quote gemessen werden, deren Realisierung ja nicht allein vom Willen des Schuldners, sondern zunächst einmal von seiner Leistungsfähigkeit und/oder der Höhe der Gesamtverschuldung bestimmt wird? Macht es Sinn, Personen, die die Quote aufgrund ihres niedrigen Einkommens nicht erreichen können, auf die fruchtlose Gesamtdauer von sechs Jahren zu verweisen (zu „bestrafen“), obwohl gerade da eine Verkürzung der Verfahrensdauer kaum an den Rechten der Gläubiger nagen dürfte?
Ob diese oder ähnliche Fragen durch das BMJ berücksichtigt werden, lässt sich den bisherigen Äußerungen nicht entnehmen. Eine qualitative Bewertung des Vorhabens muss daher nach wie vor sehr vage bleiben. Da seit der Rede der Bundesjustizministerin im März 2010 kein einziger neuer Aspekt hinzugekommen ist, verstärkt sich allerdings der Eindruck, dass man mit der geplanten Regelung Ungereimtheiten in Kauf nehmen wird, weil man eine durchstrukturierte Anpassung der Insolvenzordnung an die „relative“ Verfahrensverkürzung scheut. Angesichts der Erfahrungen mit der Quotenlösung in Österreich scheint es ohnehin kein lohnendes Projekt zu sein, sondern ein Vorwand, die Frage nach einer generellen Herabsetzung der Verfahrensdauer nicht weiter beantworten zu müssen.
2. Theoretische Möglichkeiten und denkbare Widersprüche
Es ist zwar erkennbar, dass durchaus auch Schuldner mit einem geringen (häufig genug unpfändbaren) Einkommen von einer solchen Regelung profitieren könnten, da sie sich bei einer überschaubaren Gesamtverschuldung zu freiwilligen Zahlungen aus ihrem unpfändbaren Einkommen veranlasst sehen dürften. Ein Schuldner mit z.B. 25.000 Euro Schulden und einem unpfändbaren Einkommen müsste (grob gerechnet) bei einer Mindestquote von z.B. 10 Prozent 2.500 Euro (bei 25% 7.500 Euro) in drei Jahren aufbringen (wenn es denn so geregelt wird), was einer monatlichen Zahlung von ca. 70 Euro (bei 25% 174 Euro) entsprechen würde.[9], [10] In vielen Fällen mag dies eine durchaus realistische Belastung darstellen (alles ohne Berücksichtigung der Verfahrenskosten, die in einen solchen Fall natürlich geringer ausfallen müssten). Es ist anzunehmen, dass die Überlegung zur Mindestquote auf diesen „Überschuldungstyp“ abhebt (= die Überschuldungshöhe ist niedrig genug/ die leistbaren Zahlungen sind hoch genug, dass die festgelegte Quote erreicht werden kann. Das schließt Fälle aus, bei denen die Überschuldung überdurchschnittlich hoch und/oder das Einkommen des Schuldners unterdurchschnittlich niedrig ist).
Indes: Diese Schuldner haben schon im Rahmen der (für Privatinsolvenzverfahren obligatorischen) außergerichtlichen Schuldenbereinigung die Möglichkeit, effektiv Anteile ihres unpfändbaren Einkommens anzubieten. Auf diesem Wege kann das für alle Seiten beste Ergebnis, die Vermeidung der Insolvenz erreicht werden. Die Angebote im Rahmen dieses außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens markieren auch bereits die maximale Höhe der durch den Schuldner zahlbaren Beträge. Warum – wenn dieses außergerichtliche Angebot nicht (zumindest) von der Mehrheit der Gläubiger angenommen wird – nunmehr die fehlenden Zustimmungen durch das bloße Faktum einer festgeschriebenen, möglicherweise wesentlich geringeren Quote plus (verkürzte) Verfahrenszeit ersetzt werden können soll, ist nicht ganz einleuchtend. Insbesondere, wenn man – wie es das BMJ tut – so sehr auf die Grundrechte der Gläubiger abstellt.
Hier wäre es weit sinnvoller, das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren zu stärken, das die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners mit den wirtschaftlichen Interessen des Gläubigers zu vermitteln versucht (dazu hat sich die Bundesministerin in ihrer ersten Rede vom 17.03.2010 ansatzweise geäußert, siehe hierzu Reformbedarf Privatinsolvenz: Bundesministerin kündigt Gesetzesänderungen an).
Die schlechteste aller Lösungen allerdings ist die: Der Festlegung einer Mindestquote in der Insolvenz eine Mindestquote für die außergerichtliche Schuldenbereinigung folgen zu lassen. Wenn es dazu käme, könnte man ohne Verlust gänzlich auf das Einigungsverfahren verzichten.
3. Praktische Probleme
Zu hoffen ist in jedem Fall, dass durch die Einführung einer Mindestquote keine Friktionen entstehen, die letztlich für alle Seiten mehr Nachteile als Vorteile bringen.
Eine praktisch sehr wichtige Frage ist beispielsweise: Soll ein Schuldner, der eine insolvenzvermeidende außergerichtliche Einigung gemäß Insolvenzordnung erzielt, 6 Jahre lang verpflichtet bleiben, während ein anderer das Verfahren mit einer geringeren quotalen Befriedigung in drei Jahren abschließen kann (Problem der Schlechterbehandlung)? Und: Welchen ausgleichenden Anreiz kann man schaffen, um zu verhindern, dass sich Angebote im Rahmen des Schuldenbereinigungsverfahrens außerhalb der Insolvenz zukünftig an der unteren Privilegierungsmarke der Mindestquote orientieren? Bislang liegen in der Praxis Angebote im Rahmen von außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplänen sehr oft über 20 Prozent (liegen also oft höher) während dort, wo wegen der Höhe der Gesamtverschuldung auch außergerichtlich nur Angebote unterhalb der Mindestquote gemacht werden können (also niedriger sind), in der Insolvenz ohnehin keine Verfahrensverkürzung zu erreichen wäre. In beiden Fällen wäre die Mindestquote unpassend. Ihre Einfügung in das bestehende Insolvenzrecht – ohne Berücksichtigung dieser Folgen – darf unproblematisch als fahrlässig angesehen werden. Hoffen wir also das Beste. Denn sonst dürfte es guten Beratungsstellen mit einer hohen außergerichtlichen Erfolgsquote schwerer gemacht werden, Insolvenzen zu vermeiden. Oder anders: Sie werden viel eher bereit sein, ihre Mandanten in die Insolvenz zu schicken, da der Makel der Insolvenzeröffnung von der wesentlich geringeren Verfahrenszeit und dem deutlich wirtschaftlicheren Vorteil gegenüber dem Einigungsverfahren kompensiert wird.
Andererseits zeigt ein Vergleich mit der endgültigen Regelung, wie unnötig einfallsreich wir selbst waren. Denn keine der unter III. 3. benannten praktischen Probleme veranlassten den Gesetzgeber später zu einem einzigen Gedanken. Er ging bei der Umsetzung der Halbierung grobschlächtig und letztlich ohne Konzept vor. Das Ergebnis erwies sich als weitgehend unbrauchbar; man hätte es, von 2018 aus betrachtet, ohne spürbaren Verlust ganz weglassen können.
Dass eine Verkürzung allenfalls mit Bedingung infrage kommt, wurde damit begründet, dass nur so das Eigentumsrecht der Gläubiger hinreichend gewahrt werden könne. Diese Begründung hört man immer, wenn die Frage einer Verfahrensverkürzung im Raum steht. Natürlich ist das ein Aspekt, aber als Begründung ist das vor allem eines: zirkulär. Niemand von denen, die damit argumentieren, vermag zu erklären, warum das Eigentumsrecht ein ineffektives Insolvenzverfahren benötigt. Warum profitieren bei Insolvenzverfahren zuallererst und überproportional die Insolvenzverwalter und nicht die Gläubiger? Entspricht das denn einer effektiven Wahrung von Eigentumsrechten?
Die Antwort lautet verblüffenderweise: Ja! Weil der Gesetzgeber selbst festlegt, an welchem Punkt und auf welchem Wege das Eigentumsrecht seinem tatsächlichen Wert zu folgen hat. Nicht aus dem Eigentumsrecht selbst fließt die Definition dafür, wann die Wertlosigkeit einer Forderung zu deren rechtlicher Umwertung führt, sondern aus der gestaltenden Entscheidung des Gesetzgebers.
Der nächste Artikel aus der Reihe Rückblicke zur Gesetzesänderung 2014:
Mega Artikel. Vielen Dank